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Altdorf

Fall Walker: Urner Obergericht verurteilt Erstfelder Barbetreiber zu 10 Jahren Gefängnis

Das Obergericht des Kantons spricht Ignaz Walker (49) schuldig, im November 2010 einen Auftragskiller auf seine damalige Ehefrau angesetzt zu haben – und verurteilt ihn zu 10 Jahren Freiheitsstrafe. Trotzdem verliess Walker den Gerichtssaal als freier Mann.
Ignaz Walker gab den Medien nach der Urteilsverkündung Interviews.
Bild: Urs Hanhart (Altdorf, 22. Januar 2018)

Carmen Epp und Bruno Arnold
redaktion@urnerzeitung.ch
Nach der Berufungsverhandlung im November 2017 ist das Obergericht zu einem Schuldspruch gekommen, wie das Gericht am heutigen Montag mündlich verkündet hat. Das Gericht ist überzeugt, dass der ehemalige Erstfelder Barbetreiber am 12. November 2010 einen Auftragskiller auf Nataliya K.*, seine damalige Ehefrau, angesetzt hat. Es verurteilt Walker deshalb wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren.

Damit hat das Obergericht erneut eine 180-Grad-Wende vollzogen: 2013 verurteilte das Gericht Walker wegen des Mordauftrags an seiner ehemaligen Ehefrau und eines Schusses auf einen Holländischen Gast zu 15 Jahren Haft. Nachdem das Urteil vom Bundesgericht gerügt und aufgehoben wurde, revidierte das Obergericht 2016 sein Urteil und sprach Walker vom Vorwurf des Mordauftrags frei. Nachdem auch dieses Urteil vor dem Bundesgericht nicht Stand hielt, kommt das Obergericht nun wieder zu einem Schuldspruch.

Gegenüber dem Urteil von 2013 hat das Obergericht das Strafmass von damals 15 auf jetzt 10 Jahre reduziert. Ein wesentlicher Grund dafür sei, dass das Obergericht damals im Fall Peeters von einer versuchten vorsätzlichen Tötung ausgegangen sei. Nun liege aber wie vom Bundesgericht bestätigt eine erheblich weniger ins Gewicht fallende Gefährdung des Lebens vor.

Walker bleibt auf freiem Fuss

Die 10 Jahre werden als Gesamtfreiheitsstrafe für den versuchten Mord vom November 2010 sowie die Gefährdung des Lebens vom Januar 2010, für die Walker bereits rechtskräftig verurteilt worden ist. An die Strafe angerechnet werden die 1683 Tage, also über viereinhalb Jahre, die Walker bereits in Untersuchungs- und Sicherheitshaft war. Bleibt es beim vorliegenden Urteil – der Weiterzug ans Bundesgericht steht noch offen – sei davon auszugehen, dass Walker aufgrund der bereits erstandenen Haft und sofern er nach zwei Dritteln der Haft bedingt entlassen werden kann, wohl noch rund zwei weitere Jahre in Haft zu verbringen hat, wie Obergerichtsvizepräsident und Verfahrensleiter Thomas Dillier erklärte.

Obwohl Walker nun erneut verurteilt wurde, bleibt er vorderhand ein freier Mann. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, Walker in Sicherheitshaft zu nehmen, wurde abgelehnt. Stattdessen belasse man es bei den Ersatzmassnahmen, die im Mai 2017 beschlossen wurden: Ausreise- und Schriftensperre. Obergerichtsvizepräsident und Verfahrensleiter Thomas Dillier begründete dies mündlich wie folgt: Walker müsse seit April 2017, als das Bundesgericht den Freispruch aufgehoben hat, realistischerweise mit einer Verurteilung rechnen, habe sich der Justiz bisher aber stets gestellt. Zwar sei man sich durchaus bewusst, dass eine gewisse Fluchtneigung bestehen könnte. Angesichts des bisherigen Verhaltens und da Walker ohnehin «nur noch» zwei Jahre Haft blühen, sei eine Fluchtgefahr «nicht konkret genug», um ihn hier und heute in Sicherheitshaft zu nehmen.

Zusätzlich zur verhängten Freiheitsstrafe verurteilt das Obergericht Walker zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 30 Franken sowie zu einer Busse von 800 Franken. Ausserdem muss Walker seiner ehemaligen Ehefrau, dem Opfer des Mordanschlags, eine Genugtuung im Umfang von 25'000 Franken zuzüglich Zinsen bezahlen, davon 10'000 Franken unter solidarischer Haftung mit dem rechtskräftig verurteilten Auftragsmörder Sasa Sindelic.

Verteidiger ist sprachlos, Oberstaatsanwalt zufrieden

Walkers Verteidiger, Linus Jaeggi, fällt eine erste Reaktion auf das Urteil schwer. «Im Moment bin ich sprachlos», sagte er im Anschluss an die Urteilsverkündigung. Die Begründung des Freispruchs des Obergerichts von 2016 sei nicht gut gewesen, weshalb er sogar ein gewisses Verständnis dafür habe, dass das Bundesgericht den Freispruch aufgehoben habe. Offenbar habe sich das Obergericht nun dem Bundesgericht gebeugt, was er nicht nachvollziehen könne, so Jaeggi.

Klar ist: Auch dieses Urteil wird wieder in Lausanne landen. So hielt Ignaz Walker nach der Urteilsverkündung fest, dass man das Urteil «selbstverständlich» anfechten werde. Er hält das Urteil für ein politisches. «Wer die Akten gelesen hat, weiss, wie grundsätzlich falsch das ist.»
Oberstaatsanwalt Thomas Imholz hatte eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren beantragt. Obwohl das Urteil tiefer ausgefallen ist, zeigte er sich grundsätzlich zufrieden: «Entscheidend ist für mich, dass es eine Verurteilung gegeben hat. Über das Strafmass kann man immer diskutieren», sagte Imholz. Diesbezüglich werde er jetzt das begründete Urteil abwarten. «Die Staatsanwaltschaft hat aufgrund der Beweise und der Indizienlage von Anfang an klar betont, dass nur eine Verurteilung in Frage kommt. Deshalb waren wir auch überrascht über den Freispruch. Aber aufgrund der Beurteilung fes Bundesgerichts gab es für das Obergericht gar keine andere Option mehr gegeben als eine Verurteilung.»

Opfer Nataliya K.* selber wollte zum Urteil gar nichts sagen. Sie verwies an ihre Rechtsvertreterin, Claudia Zumtaugwald. «Ich bin erleichtert und mit dem Urteil sehr zufrieden», meinte diese. Sie habe einen Schuldspruch erwartet, da das Bundesgericht «sehr klare Anweisungen zur Form der erneuten Überprüfung des Urteils» erteilt habe. Auch mit der Reduktion des Strafmasses hat Zumtaugwald gerechnet, und zwar aufgrund der langen Verfahrensdauer. «Ich habe zwar eine etwas höhere Strafe erwartet, kann aber mit den zehn Jahren sehr gut leben», so die Luzerner Anwältin. «Zur Tatsache, dass Walker auf freiem Fuss bleiben könnte, habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Ich kann aber die Begründung des Obergerichts nachvollziehen, dass die Fluchtgefahr bei Walker relativ gering ist und dass die im Mai 2017 verfügten Ersatzmassnahmen ausreichen.»
 
*Name der Redaktion bekannt

 

HINTERGRÜNDE ZUM FALL WALKER

Das ist vorgefallen

Am 4. Januar 2010 gerät Ignaz Walker (49) in seinem Nachtklub Taverne in Erstfeld in einen Streit mit Johannes Peeters. Der Holländer beschimpft Walkers damalige Noch-Ehefrau, Nataliya K.*. Als Peeters das Lokal verlässt, fallen vor der «Taverne» Schüsse. Peeters sagt, Walker habe auf ihn geschossen – allerdings ohne ihn zu treffen. Die Polizei findet vor Ort eine Patronenhülse, darauf Walkers DNA. Zehn Monate später, am 12. November 2010, wird Nataliya K. in Erstfeld angeschossen und schwer verletzt. Die Tatwaffe wird bei Sasa Sindelic gefunden; es ist dieselbe wie beim Schuss auf Peeters.

Das ist seither geschehen

Sindelic wird beschuldigt, im Auftrag von Walker auf Nataliya K. geschossen zu haben. Walker selber wiederum soll auf Peeters geschossen haben.

Im September 2012 verurteilt das Landgericht Sindelic wegen versuchten Mordes in Mittäterschaft zu achteinhalb Jahren. Walker kassiert wegen Gefährdung des Lebens (Peeters) und versuchten Mordes in Mittäterschaft (Nataliya K.) zehn Jahre. Sindelic akzeptiert das Urteil, Walker legt Berufung ein. Im September 2013 erhöht das Obergericht Walkers Strafe auf 15 Jahre.

Im Dezember 2014 heisst das Bundesgericht Walkers Beschwerde teilweise gut, hebt das Urteil auf und schickt es ans Obergericht zurück – mit Direktiven: Die DNA-Spur auf der Patronenhülse darf nicht mehr als ­Indiz verwendet und Peeters muss vor Gericht befragt werden.

Im April 2016 verurteilt das Obergericht Walker wegen des Schusses auf Peeters zu 28 Monaten, spricht ihn aber vom Mordversuch an Nataliya K. frei. Auch dieses Urteil hält vor Bundes­gericht nicht stand. Es bestätigt zwar den Schuldspruch im Fall Peeters, hebt aber den Freispruch vom Mordversuch auf; er sei ungenügend begründet und unhaltbar. Am 16. November 2017 wird der Mordversuch an Nataliya K. zum dritten Mal vor dem Obergericht verhandelt. Das Urteil wird morgen mündlich eröffnet.

Die Ungereimtheiten

Immer wieder drangen Ungereimtheiten ans Tageslicht, die bis heute im Raum stehen: Eine offene Frage ist, ob der Polizist, der Walkers DNA auf der Patronenhülse sicherstellte, in den Ausstand hätte treten sollen, weil er zuvor mit Walker in einem gerichtlichen Streit gelegen war. Ausserdem warf Walkers Verteidiger der Staatsanwaltschaft vor, sie habe die Befragung von Peeters vereitelt, indem sie dem Gericht den Aufenthaltsort des Holländers verschwiegen habe.

Und schliesslich brachte Sindelic 2015 in einem Interview mit der SRF-Sendung «Rundschau» die so genannte «Komplott-Theorie» ins Spiel: Walker habe nichts mit dem Anschlag auf ­Nataliya K. zu tun; das Ganze sei inszeniert worden, um Walker hinter Gitter zu bringen – von ihm, Nataliya K., deren Freund und einem Schützen, dessen ­Namen er nicht nennen will. Sindelics Aussagen werden extern untersucht und verworfen. Auf eine Befragung eines ehemaligen Gefängnisdirektors, der sich als «Mitwisser» beim Obergericht meldet, wird verzichtet. (eca)