notifications
EU - Sozialversicherungen

Kompromiss bei EU-Grenzgänger-Regime wackelt

Die EU-Institutionen haben bei der Koordinierung der Sozialversicherungssysteme in den umstrittensten Punkten einen Kompromiss erreicht. Dazu gehört auch das neue Regime für arbeitslose Grenzgänger. Laut EU-Diplomaten ist der Kompromiss jedoch "sehr fragil".
Die EU-Institutionen haben sich am Dienstag in Brüssel auf einen Kompromiss beim neuen Regime für arbeitslose Grenzgänger geeinigt. (Archiv)
Bild: KEYSTONE/AP/HERMANN J. KNIPPERTZ

EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen äusserte sich erfreut über den am Dienstag in Brüssel erzielten Kompromiss. "Diese modernisierten Regeln sind ein grosser Schritt vorwärts für mehr soziale Sicherheit." Gemäss EU-Kommission leben und arbeiten aktuell rund 17 Millionen EU-Bürger in einem anderen EU-Land.

Streitpunkt zwischen den EU-Institutionen war am Schluss unter anderem das neue Grenzgänger-Regime. Sie einigten sich darauf, dass das Arbeitgeberland Arbeitslosenunterstützung für Grenzgänger zahlen soll - und zwar nach sechs Monaten.

Das EU-Parlament wollte es den Grenzgängern überlassen, in welchem Land sie sich arbeitslos melden und entsprechend Arbeitslosenunterstützung beziehen wollen. Es konnte sich aber nicht durchsetzen.

Vor allem französische Grenzgänger-Organisationen hatten sich gegen einen Systemwechsel gestellt. Sie wiesen auf die Sprachbarriere hin, die zu Probleme bei der Betreuung der französischen Arbeitslosen in Deutschland aber auch bei der Weiterbildung führen dürften.

Export von Arbeitslosengeldern

Um den Bedenken der Grenzgänger entgegen zu kommen, einigten sich Mitgliedsstaaten, EU-Kommission und Parlament dem Vernehmen nach darauf, dass die Arbeitslosengelder für Grenzgänger während 15 Monaten "exportiert" werden dürfen.

Diese "Export"-Regel bedeutet, dass ein arbeitsloser Grenzgänger während 15 Monaten in seinem Wohnland auf Arbeitssuche gehen kann, in dieser Zeit aber weiterhin Arbeitslosenunterstützung von jenem Land erhält, in dem er zuletzt mehr gearbeitet hat.

Anders als zuerst kolportiert ist nicht klar, ob diese 15 Monate nur für Grenzgänger oder für alle EU-Bürger gelten - also auch für EU-Bürger, die in einem anderen EU-Land gearbeitet und gewohnt haben. Informationen von EU-Diplomaten dazu sind unterschiedlich.

Zustimmung noch unklar

Ein Experte bezeichnete den erzielten Kompromiss jedoch als "sehr fragil". Es sei nicht sicher, ob das EU-Parlament und die EU-Staaten diesen am Ende akzeptieren werden. Beide müssen dem Kompromiss noch zustimmen.

Bei den Mitgliedsstaaten sind zurzeit laut EU-Diplomaten die drei Benelux-Staaten, Dänemark, Deutschland und Österreich aus den unterschiedlichsten Gründen gegen die Vorlage. Mehrere von ihnen fordern mehr Zeit für die Revision.

Diese sechs Staaten können den Kompromiss aber nicht blockieren. Als möglicher Alliierter gilt Polen, der sich aber dem Vernehmen nach noch nicht entschieden hat. Würde sich Warschau gegen den Kompromiss stellen, hätten die sieben Staaten eine Mehrheit, die Vorlage zu blockieren. Zudem ist auch im EU-Parlament die Situation unklar.

Schlechte Neuigkeiten für Schweiz

Würde der Kompromiss gutgeheissen, wären das für die Schweiz keine gute Nachricht - es könnte teuer werden. Mit rund 320'000 Grenzgängern kann dies laut Staatssekretariat für Migration (SEM) zu Ausgaben eines "höheren dreistelligen Millionenbetrags" für die Schweiz führen.

Zwar ist die Schweiz aktuell nicht verpflichtet, diese Anpassungen zu übernehmen. Doch geht Bern davon aus, "dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten von der Schweiz die Übernahme dieser Rechtsentwicklung fordern werden" - und zwar unabhängig von einem institutionellen Rahmenabkommen. Schliesslich habe man frühere Änderungen stets übernommen, schreibt der Bund in seinen Erläuterungen zum Rahmenabkommen. (sda)