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Wahlen 2019 - Demokratie

Herausforderung Jugend und Politik

Junge Menschen gelten als die Könige der Stimmenthaltung. Im Wahljahr 2019 und zu Zeiten der Klimastreiks ist die Frage, wie sie an die Urnen geholt werden könnten, wieder aktuell geworden. Nötig wären tiefgreifende Änderungen.
Um junge Menschen zu motivieren für den Gang an die Urne, müsse man ihnen zeigen, wie sie ihre Umwelt beeinflussen können, findet der Politologe René Knüsel. Im Bild Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendsession. (Archivbild)
Bild: KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA VALLE

"Wir stimmen über Dinge ab, die uns betreffen. Aber während der Kampagnen ist nicht ersichtlich, wie sie sich auf unsere Zukunft auswirken", sagt der 23-jährige Sandro. Wenn beispielsweise Abstimmungen zu den Renten anstünden, warne niemand die jungen Leute vor eventuellen negativen Konsequenzen.

Der junge Mann räumt ein, dass er nur an die Urne gehe, wenn eine Vorlage wichtig für ihn ist. Das letzte Mal einen Stimmzettel ausgefüllt hat er im Februar 2016, über die zweite Tunnelröhre am Gotthard.

So wie Sandro haben viele junge Leute Mühe, die Auswirkungen der Politik auf ihr Alltagsleben auszumachen. Gemäss dem Politikmonitor 2018 von easyvote sind weniger als die Hälfte der 15- bis 25-Jährigen der Ansicht, dass das Parlament Entscheide trifft, die für ihren Alltag wichtig sind.

Anspruchsvolles System

Die Studie hat auch gezeigt, dass junge Menschen sich zunehmend weniger über Politik und Aktualität informieren. Weniger als ein Viertel (23 Prozent) informieren sich täglich. "Bei Abstimmungen suche ich nicht zwingend selbst nach Informationen", sagt Sandro.

Für René Knüsel, Politologe an der Universität Lausanne, ist diese Tendenz besorgniserregend. Sinke der Informationsstand, sei die Demokratie insgesamt in Gefahr, findet er. Das Schweizer System sei anspruchsvoll:; "Will man in Kenntnis der Angelegenheit abstimmen, braucht das Zeit und ständige Aufmerksamkeit."

Jungen Menschen bei Abstimmungen und Wahlen verständliche und neutrale Informationen zu liefern, ist das Anliegen von easyvote, einem Projektes des Dachverbandes der Schweizer Jugendparlamente (DSJ), das vor rund zehn Jahren lanciert wurde. Unter anderem werden verständliche Videos und Unterlagen für Schulen zur Verfügung gestellt.

Mit App und Präsenz im Ausgang

Mit votenow hat easyvote eine App ins Leben gerufen, die in drei Landessprachen verfügbar ist. Die neue easyvote-App lässt die User die eigene Meinung erkunden und bildet alternative Meinungen dazu ab. Benutzer werden nicht nur informiert, sondern auch sensibilisiert und in der Diskussionskultur ausgebildet, heisst es auf der Webseite. Dazu müssen die Benutzer 20 Fragen mit "Ja" oder "Nein" beantworten.

Für die eidgenössischen Wahlen im kommenden Herbst wird sich easyvote mit smartvote zusammentun, wie die Verantwortliche Zoë Maire sagt. Smartvote zeigt mittels eines Fragebogens auf, welcher Kandidat oder welche Kandidatin der eigenen Gesinnung am nächsten steht.

Auf lokaler Ebene werden zudem zum Beispiel in der Westschweiz mit der Aktion "ich habe abgestimmt" junge Menschen motiviert, an die Urne zu gehen. So werden in Ausgangslokalen wie Clubs oder Discos die Eintrittsstempel mit der Aufschrift "ich habe abgestimmt" versehen. Damit sollten Jugendliche zum Diskutieren animiert werden, sagte Tanguy Ausloos, die Jugendverantwortliche der Stadt Lausanne.

Rasch in Gesellschaft integrieren

Laut Knüsel sind solche Initiativen wichtig und nützlich. Meist würden aber nur bereits interessierte Personen angesprochen. Manchmal seien diese Projekte auch zu spät angesetzt.

Laut dem Lausanner Politiker muss man junge Menschen damit motivieren abzustimmen, indem man ihnen aufzeigt, wie sie ihr Umfeld beeinflussen können. Dies sei mit kleinen Aktionen während der gesamten Schulzeit möglich, indem nicht nur über das Funktionieren der Institutionen gesprochen werde, sondern auch anhand praktischer Experimente aufgezeigt werde, die das politische System funktioniere.

Die grösste Herausforderung bei der Partizipation der Jugendlichen an der Politik sei es, sie möglichst rasch als Teil der Gesellschaft zu integrieren, sagt Knüsel. "Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Berufsleben und der Teilnahme an Politik. Im Alter von 35 bis 60 Jahren gehen die meisten Personen an die Urne", sagt Knüsel. In diesem Alter seien die Menschen auch am meisten im sozialen und politischen Leben integriert.

Klimastreik als Mobilisierungsinstrument

Die neu entstandene Klimabewegung hat mit den Schülerstreiks zumindest dazu beigetragen, junge Menschen für ein politisches Thema der Gesellschaft zu sensibilisieren. Doch die Mobilisierung von zehntausenden jungen Menschen für die Klimastreiks kontrastiert mit der schwachen Wahlbeteiligung der 18 bis 24-Jährigen von 30 Prozent bei den letzten eidgenössischen Wahlen.

Dies überrascht den Lausanner Politologen René Knüsel nicht. "Die Jungen engagieren sich für die Sache, aber nicht unbedingt für die Dauer. Zudem ist nicht sicher, ob die Demonstranten ihren Streik als politische Geste wahrnehmen." Zudem sei mit den Streiks die Klimafrage sozusagen sichtbar geworden.

Einige Parteien konnten dank der Klimabewegung mehr Mitglieder gewinnen, etwa die Jungen Grünen, wie Co-Präsident Kevin Morisod sagt. Bisher habe man monatlich 20 bis 30 Neumitglieder gewonnen. Seit Dezember habe sich die Zahl vervierfacht. Profitieren konnten auch die Jungen Grünliberalen (plus 50 Prozent) sowie die JUSO, wie es auf Anfrage hiess. Keine nennenswerte Zunahme wurde bei den Jungfreisinnigen und der Jungen CVP registriert. (sda)