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Schweiz

Neue App soll mit Smartphonedaten Infektionsketten lokalisieren – Bund signalisiert Interesse

Die ETH Lausanne beteiligt sich an einem Software-Projekt, das Medizin und Datenschutz unter einen Hut bringen will. Das Bundesamt für Gesundheit signalisiert Interesse.
Das Handy könnte in Zukunft helfen, das Coronavirus zu bekämpfen. (Ralf Lienert)

Daniel Schurter/watson.ch

Zahlreiche Länder setzen bei der Bekämpfung des neuen Coronavirus verstärkt auf moderne (digitale) Technik. Dabei rücken Smartphones ins Zentrum des Interesses.

Zu den vielversprechendsten Anwendungen gehören Contact-Tracing-Apps, die ermöglichen sollen, Infektionen schneller zu erkennen und Verdachtsfälle zu isolieren.

Wobei es sich nicht um eine «Wunderwaffe» handelt, wie Experten übereinstimmend betonen. Der Einsatz einer solchen App sei sinnvoll, wenn das normale Leben wieder in Gang komme und neue Infektionsketten drohten.

Eine sicherheitstechnisch und rechtsstaatlich überzeugende Lösung ist bislang allerdings nicht in den hiesigen App-Stores von Apple und Google verfügbar. Es gibt aber vielversprechende Projekte. Am weitesten scheinen die Macher der NextStep-App zu sein, das ist die Firma Ubique, die die Alertswiss-App des Bundes sowie die SBB-App entwickelt hat.

Nun überschlagen sich die Ereignisse:

  • Am Dienstag präsentierte Ubique die Contact-Tracing-App «NextStep». Für Android-Smartphones ist bereits eine Testversion verfügbar, für iPhones noch nicht.
  • Heute Mittwoch informierte die neu gegründete europäische Non-Profit-Organisation Pepp-Pt über ihr Ziel, die Contact-Tracing-Technik in einer länderübergreifenden Kooperation weltweit verfügbar zu machen.
  • Aus Schweizer Sicht federführend ist der Epidemiologe Marcel Salathé vom Digital Epidemiology Lab der Eidgenössisch-Technischen Hochschule EPFL in Lausanne.
  • Die paneuropäische Initiative will laut «Spiegel» den Quellcode, den gesamten technologischen Unterbau («Backend») sowie eine Rumpfversion einer Contact-Tracing-App zur Verfügung stellen. Darauf basierend könnten dann Länder oder Start-ups eigene Apps entwickeln.
  • Am Projekt beteiligt ist auch Ubique.
  • Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat an der Mittwoch-Medienkonferenz Interesse signalisiert und Daniel Koch erklärte, man prüfe momentan auf rechtlicher Ebene, ob so etwas möglich wäre.
  • Sowohl die Ubique-App NextStep als auch die vorangekündigte europäische App basieren auf Bluetooth Low Energy (LE). Über die Signalstärke wird der Abstand zwischen Smartphones (bzw. Usern) bestimmt.
  • Wenn es zur Annäherung von Geräten/Usern kommt, wird dies automatisch registriert und anonym auf den Geräten gespeichert. Nach Bekanntwerden einer Infektion lassen sich Personen, die in Kontakt standen, warnen.

«Wir müssen aus medizinischer Sicht gar nicht wissen, wo der Kontakt stattgefunden hat, um Infektionsketten zu unterbinden.»

Wer steckt dahinter?

Contact-Tracing-Apps sind in zahlreichen Ländern auf der ganzen Welt in Entwicklung. Vorreiter war Singapur.

Hinter dem neuen Projekt Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing (PEPP-PT) steht ein Team von rund 130 Mitarbeitern aus 17 Instituten, Organisationen und Firmen in Europa, wie der «Spiegel» am Mittwoch berichtete.

Das länderübergreifende Software-Projekt wird von renommierten Experten und Forschungseinrichtungen gemeinsam getragen, was entscheidend zur Akzeptanz seitens staatlicher Stellen und Aufsichtsbehörden beitragen könnte.

Federführend ist Deutschland: Der oberste deutsche Datenschützer und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hätten die Projektentwicklung ebenso begleitet wie das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin.

Die Macher zielten auch auf die Gesundheitssysteme ärmerer Staaten, die sich Eigenentwicklungen nicht leisten und so eine Lösung nutzen könnten, berichtet der «Spiegel».

Wie soll die Pepp-Pt-App funktionieren?

Über die Bluetooth-Verbindung von Smartphones, also gleich wie bei der NextStep-App aus Schweizer Machart.

«Die Abstandsmessung wird mit Bluetooth Low Energy durchgeführt, alle App-Nutzer müssen also Bluetooth aktiviert haben, damit es funktioniert.» (Quelle: Spiegel.de)

Die deutsche Bundeswehr habe die Software-Entwickler mit Testläufen unterstützt, heisst es im Bericht, «um die Algorithmen für die Abstandsmessung zu kalibrieren».

Das Ganze solle grenzüberschreitend funktionieren – also auch dann, wenn App-Nutzer durch mehrere europäische Länder reisen, wie der «Spiegel» schreibt.

Die Anonymität sei gewährleistet, denn:

«Pepp-PT generiert temporäre IDs, damit die Nutzer nicht identifizierbar sind. Nähert sich ein anderes Smartphone mit einer Pepp-PT-App, tauschen beide ihre jeweiligen IDs aus und speichern sie verschlüsselt und lokal, also nicht in irgendeiner Cloud.»

Ist das freiwillig?

Ja. Die Nutzung von Contact-Tracing-App kann nicht erzwungen werden. Vielmehr müssen möglichst viele Leute überzeugt werden, dass damit das Virus eingedämmt werden kann und gleichzeitig der Datenschutz gewährleistet sei.

Was ist anders als bei bisherigen Apps?

Eine grosse Schwierigkeit bei Contact-Tracing-Apps ist das Verhindern bzw. Vermeiden von Fehlalarmen. Ob mit böser Absicht oder aus purer Dummheit: Wenn sich jemand fälschlicherweise als «infiziert» bei der App registriert, könnte dies sehr viele betroffene Kontakte verunsichern.

Es geht also nicht an, dass jemand nur aufgrund gewisser Symptome die Selbstdiagnose Covid-19 trifft. Vielmehr sollen laut «Spiegel»-Bericht Mediziner entscheiden.

«Wird bei einem Nutzer eine Coronavirus-Infektion diagnostiziert, bittet die Ärztin oder der Arzt den Nutzer, seine Kontaktliste an den zentralen Server zu übertragen. Der [Server] sieht nur die IDs in der Liste und kann diese dann über die App warnen, dass sie Kontakt zu einer mittlerweile als infiziert erkannten Person hatten.» (Quelle: Spiegel.de)

Wird der Datenschutz eingehalten?

Das ist eine der grossen Fragen. Kritiker befürchten, dass Smartphone-User ausspioniert werden könnten.

Wer sich für Datenschutz im Internet interessiert, sollte Max Schrems kennen. Der österreichische Jurist ist seit vielen Jahren ein unermüdlicher Kämpfer, er hat schon als Student das übermächtige Facebook mit Klagen herausgefordert und vor Gericht auch immer wieder Siege errungen.

In der aktuellen aussergewöhnlichen Notlage meldete sich der erfahrene Datenschutz-Experte eindrücklich – und vermutlich für viele Beobachter überraschend – zu Wort: In einer am Montag verschickten Mitteilung begrüsste er den Einsatz von Big Data, um das Virus einzudämmen.

«Die Frage ist nicht, ob das möglich ist, sondern wie man es ordentlich macht.»

Schrems Einschätzung, die sich mit der von Schweizer Rechtsexperten deckt: Ein genereller Konflikt zwischen dem Datenschutz und der Nutzung von Daten im Kampf gegen eine Epidemie bestehe nicht – entgegen vieler Berichte. Dies gelte insbesondere für die europäische Datenschutzverordnung DSGVO (die bekanntlich auch die Schweiz betrifft).

Was nun?

Eine sichere und datenschutzkonforme Contact-Tracing-Technik sei umsetzbar, betonen verschiedene Experten. Sobald entsprechende Software-Lösungen vorliegen, müsste der Bund den Lead übernehmen. Denn die Akzeptanz einer solchen App bei der Bevölkerung hängt von einer offiziellen Empfehlung durch das Bundesamt für Gesundheit ab. Nur wenn eine App auf vielen Mobilgeräten läuft, kann dies dazu beitragen, erneute «Lockdowns» zu vermeiden.

An der Mittwochs-Medienkonferenz des Bundesrates (1. April 2020) sagte Daniel Koch, man werde das Pepp-Pt-Projekt prüfen. Am Donnerstag soll es mehr Informationen dazu geben.

Der Ubique-Geschäftsführer Mathias Wellig schreibt uns:

«Wir sind mit der ETH/EPFL in engem Austausch und im Rahmen von Pepp-PT bereits am Kollaborieren. Die Pepp-PT Initiative setzt sich ebenfalls für eine datenschutzfreundliche Lösung via Bluetooth ein und ist technisch sehr nah an dem, was wir mit Next-Step machen. Ein Konsortium renommierter Hochschulen hilft auf jeden Fall sehr für die Akzeptanz einer breit eingesetzten Lösung. Zudem macht eine grenzüberschreitende Interoperabilität Sinn, wenn wir unsere Grenzen irgendwann mal wieder offen haben wollen.»

Quellen: