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Luzern

«Ich stehe zu jedem unserer Beschlüsse»: Armida Raffeiner navigiert die Stadt Luzern besonnen durch die Coronakrise

Armida Raffeiner (58) verantwortet die Coronamassnahmen der Stadt Luzern. Im Gespräch verrät sie, warum ihr das nicht den Schlaf raubt.
Armida Raffeiner, Chefin des städtischen Gemeindeführungsstabs, in ihrem Büro im Stadthaus. Im Hintergrund ein Gemälde von Peter Roesch.
(Bild: Boris Bürgisser (Luzern, 27. Mai 2020))
Stadtluzerner geniessen die Sonne unterhalb des Richard-Wagner-Museums in gebührendem Abstand. Das Bild entstand Anfang April – ein paar Tage, nachdem der Stadtrat weite Teile des Seeufers sperren liess. (Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 5. April 2020))
Diese Bild gehört mittlerweile der Vergangenheit an: Am 4. April liess der Stadtrat das Luzerner Seeufer sperren.
(Bild: Boris Bürgisser (Luzern, 18. April 2020))
Wie ausgestorben: Die Stadt Luzern Ende März. (Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 24. März 2020))

Simon Mathis

Simon Mathis

Simon Mathis

Simon Mathis

Mittwochmorgen, Stadt Luzern. Die Gänge des Stadthauses wirken verlassen, viele Büros stehen leer. Noch ist ein Grossteil der Verwaltung im Homeoffice tätig, hier und da vernimmt man aber Stimmen – erste Anzeichen der «neuen Normalität». Am Nachmittag wird der Bundesrat das Ende der ausserordentlichen Lage ankündigen, am Vormittag jedoch ist noch vieles offen. «Ich warte jeweils mit grosser Spannung darauf, was der Bund entscheidet», sagt Armida Raffeiner in ihrem Büro. Kein Wunder: Als Chefin des Gemeindeführungsstabes ist sie verantwortlich für die Coronamassnahmen in der Stadt Luzern.

Raffeiner bestimmt, welche Einschränkungen sinnvoll und zweckmässig sind – aber nicht allein. In vielen Fällen ist die Exekutive Entscheidungsträgerin; etwa, als das Seeufer gesperrt wurde. «In diesem Fall stelle ich einen Antrag an den Stadtrat», erläutert Raffeiner. Es gibt aber auch operative Entscheide; diese fällt Raffeiner selbst. So setzte sie sich etwa mit der Frage auseinander, wo die Obdachlosen während der Coronakrise leben sollen.

Corona ist viel diffuser als das Hochwasser von 2005

In ihren Entscheiden kann Raffeiner, die an der Uni Basel Rechtswissenschaften studiert hat, auf den Rat von Experten zurückgreifen. Im Gemeindeführungsstab sind jene Fachbereiche vertreten, die in einer Krisensituation besonders gefordert sind: Zivilschutz, Feuerwehr, Polizei, Mobilität, Sicherheitsmanagement und Kommunikation. Je nach Thema werden auch noch andere Bereiche beigezogen.

Die Pressekonferenzen des Bundes sorgen jeweils für eine «Kaskade», wie Raffeiner es nennt. Am Tag nach der PK werden im Gemeindeführungsstab die Massnahmen besprochen, die durch die neue Ausgangslage nötig werden. Danach gelangen die entsprechenden Anträge an den Stadtrat. «Dieser muss nicht immer sofort entscheiden», sagt Raffeiner. Zur Abschätzung gehöre auch, wie dringend gewisse Massnahmen sind. Hier müsse man einordnen und lernen, die richtigen Fragen zu stellen. «Das Perfide an Corona ist, dass man das Virus nicht sieht und die Gefahr nur schwer einschätzen kann», sagt Raffeiner. «Die Gefahr ist diffus. Das ist etwas ganz anderes als etwa das Hochwasser 2005 in Obwalden.» Damals war Raffeiner Mitglied des Führungsstabes Obwalden. «Die Gefahr eines Hochwassers ist offensichtlich, man kann sie nicht wegdiskutieren.» Bei einem Hochwasser wisse man zudem, wie zu reagieren sei; Corona hingegen sei ein «noch nie da gewesener Fall».

Deshalb kann Raffeiner auch verstehen, dass gewisse Personen die Massnahmen hinterfragen: «Das ist völlig okay. Ich selbst bin aber überzeugt davon, dass die Einschränkungen nötig waren. Dass die Schweiz die Krise so gut bewältigt hat, haben wir unter anderem dem schnellen Einschreiten des Bundes zu verdanken.» Erst die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Pandemie werde die Wirkung der einzelnen Massnahmen darlegen können, aber für sie sei das Handeln des Bundesrates bisher grundsätzlich nachvollziehbar gewesen.

Von Paranoia keine Spur

Armida Raffeiner weist darauf hin, dass die Massnahmen stets in einem Gesamtkontext betrachtet werden müssen. «Man kann sich auch fragen, weshalb wir das Seeufer wieder geöffnet haben – denn die Regeln des Bundes sind zurzeit noch dieselben», so Raffeiner. Der Unterschied liege in der Dringlichkeit: «Am Anfang, als die Fallzahlen steigend waren, war es wichtig, den Ernst der Lage zu verdeutlichen und strikt auf die Einhaltung der Regeln zu pochen.»

Nun wolle der Stadtrat den öffentlichen Raum möglichst frei halten, um die Leute zu verteilen. «Das setzt natürlich voraus, dass die Bevölkerung Eigenverantwortung übernimmt. Wir appellieren daher weiterhin an alle, den Abstand von zwei Metern einzuhalten.» Mit dem Verhalten der Stadtluzerner ist Raffeiner sehr zufrieden. Von Menschenansammlungen wie an der Ufschötti lässt sie sich nicht beirren:

«Die Bevölkerung hat sich hervorragend verhalten. Vor allem zu Beginn der Krise war ein krasses Umdenken nötig.»

In Krisensituationen sei zudem immer wieder festzustellen, wie gross der Zusammenhalt der Menschen tatsächlich ist. «Die Leute engagieren sich schnell und helfen mit Herzblut mit, den Notstand zu bewältigen. Das beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue.» Auch innerhalb der Verwaltung sei diese Solidarität spürbar gewesen.

Zu Beginn der Coronakrise war der Zeitplan des Gemeindeführungsstabes dicht gedrängt; da kam es allwöchentlich zu mindestens drei Rapporten. Mittlerweile ist es noch einer pro Woche. Die Rapporte gehen schnell über die Bühne; sie dauern nicht länger als zwei Stunden. Im Juni wird der Gemeindeführungsstab Bilanz ziehen und in die Zukunft blicken. Für Raffeiner ist klar: Sobald sich die Lage beruhigt hat, sollen die Aufgaben des Führungsstabes zurück an die ordentliche Verwaltungsstruktur gehen. Die Coronakrise hat sich auch auf ihr eigenes Leben ausgewirkt:

«Für mich ist die Situation wohl ähnlich wie für alle anderen. Ich empfinde es als irreal, die Stadt so leer zu sehen.»

Im Alltag halte sie sich im vernünftigen Masse an die Vorschriften. «Paranoid bin ich nicht geworden», sagt sie und lacht. Und mit ihren Entscheiden in Sachen Corona könne sie auch rückblickend gut leben: «Ich stehe zu jedem einzelnen Beschluss, den wir gefasst haben.»

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