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Luzern

«Schnee von gestern»: Wer hat da eigentlich wem applaudiert?

Applaudieren fürs medizinische Personal. Genau, da war doch mal was im vergangenen März. Unser Autor fragt sich, was aus dieser Aktion geworden – und worum es wirklich gegangen ist.
Hans Graber.

Hans Graber

Zu den merkwürdigen Begleiterscheinungen dieser zunehmend depressiv stimmenden Corona-Ära gehörte das gemeinsame Applaudieren am 20. März. Was Italiener, Spanier und Franzosen vorexerziert hatten, schwappte auf die Schweiz über. Verlagshäuser – auch das unsere – riefen die Bevölkerung dazu auf, an jenem Freitag um 12.30 Uhr dem medizinischen Personal zu danken. Auch ich habe mitgemacht, wenn auch recht zaghaft, und eigentlich nur, weil man von den Balkonen rundherum Einblick auf den unseren hat. Auf anderen Balkonen wurde enthusiastisch applaudiert, sogar begeisterte Bravorufe waren zu vernehmen. Nur gaffen wäre schlecht angekommen, ich will ja im Quartier nicht als chronischer Miesepeter gelten.

Obwohl sich in mir drin etwas sträubt, auf Kommando zu klatschen, fand ich nicht die Aktion als solche merkwürdig. Ärzten und Pflegepersonal zu signalisieren, dass man ihre Arbeit schätzt – meistens jedenfalls –, ist ein schöner Zug. Die Beklatschten zeigten sich denn auch gerührt.

Vertreterinnen der Pflegeberufe gaben aber völlig zu Recht zu bedenken, dass sie sich noch in anderer Form Wertschätzung wünschen würden, durch bessere Entlöhnung und bessere Arbeitsbedingungen. Klatschen allein bringt da wenig. Der warme Applaus ist der Bruder des feuchten Händedrucks.

Merkwürdig an der Aktion fand ich jedoch ihre Einmaligkeit. Während sich in anderen Ländern das Prozedere wöchentlich, teils gar täglich wiederholte, blieb es hier bei diesem einen Mal. Zu einem Zeitpunkt, als es coronamässig nicht extrem viel zu tun gab in den Deutschschweizer Spitälern. Ganz dramatisch wurde es bei uns – Holz anfassen – bis heute kaum irgendwo, nur wusste man das am 20. März nicht. Und weil etwelche Experten vom nahenden «Krieg» sprachen und wir «Bergamo» im Oberstübchen hatten, wurde schon mal Beifall gespendet. Auf Vorrat quasi.

Vielleicht denken sich einige, der Vorrat sei noch nicht aufgebraucht worden, und je nach dem würde man dann schon eine zweite Applauswelle lancieren. Aber ich glaube, um wirklich redlich zu danken, wäre bis auf weiteres ein wöchentlicher Fixtermin angebracht gewesen. So ein kleines Zeitfenster oder mindestens eine zweiminütige Klatschspalte müsste doch allemal drinliegen.

Einverstanden, man soll auch medizinisches Personal nicht über Gebühr lobpreisen. Aber man könnte doch in den Applaus turnusmässig andere Berufsgruppen einbeziehen, auch sie leisten im besseren Fall tipptoppe Büez, nicht selten ebenfalls unter miesen Bedingungen und mässig entlöhnt.

Natürlich geht es da meist nicht um Leben und Tod, aber schon nur wenn ich von unserer Wohnung aus auf die vier Kräne sehe, die bereits um 6.55 Uhr am Rotieren sind, denke ich mir manchmal, dass da Dinge hingestellt werden, die vermutlich länger Bestand haben als ein Menschenleben. Das finde ich auch eine reife Leistung – obwohl nicht immer Gescheites dabei herauskommt. Aber das ist bei uns Menschen ja nicht anders.

Ich wage heute nach einigem Sinnieren zu bezweifeln, dass man am 20. März primär an Ärzte und Pflegepersonen gedacht hat. Ich glaube eher, dass die Mehrheit vor allem sich selber applaudiert hat. Einerseits aus Freude darüber, nicht betroffen zu sein vom Virus, andererseits um sich Mut zu machen, dass das weiterhin so bleibt. Leider ist mir das am 20. März noch nicht so bewusst gewesen, aber ich werde jetzt dann grad kurz auf den Balkon gehen, zu einer Klatsche ansetzen und eventuell mehrmals «Bravo!» rufen. Die Nachbarn sollen darüber denken, was sie wollen. Ich mache das genauso.

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