notifications
Nidwalden

Kunstprojekt eroberte im Weidli alle Herzen – doch bald wird es verschwinden

Der «wilderwald» in der Tagesstätte Weidli wird bald abgeholzt. Beteiligte nahmen mit einem lachenden und einem weinenden Auge Abschied.
Das Künstlerpaar Christine Bänninger und Peti Wiskemann (aussen) freut sich mit den Weidli Klienten Isabelle Würsch und Nils Gasseling über das gemeinsame Projekt.  (Bild: Romano Cuonz (Stans, 4. Dezember 2021))
Im Januar wird der von Klientinnen und Klienten, Künstlern und Betreuenden gemeinsam geschaffene «wilderwald» im Weidli wieder abgeholzt. (Bild: Romano Cuonz (Stans, 4. Dezember 2021))

Romano Cuonz

Romano Cuonz

«Menschen mit Beeinträchtigungen – wir nennen sie hier Klientinnen und Klienten – haben unglaubliche musische Fähigkeiten, die es nur zu wecken gilt», sagt Klaus Keller. Er muss es wissen, ist er doch Leiter des Bereichs Tagesstätte in der Stiftung Weidli Stans und Initiant des partizipativen Kunstprojekts, das dort über mehrere Jahre läuft.

Ort des Geschehens ist die Rampe in der Tagesstätte, die als Verbindungsweg vom Parterre bis zum vierten Stockwerk dient. Eine Jury hatte 2021 aus 48 Bewerbungen drei Siegerprojekte ausgewählt. Vor einem Jahr erfolgte der Start. Als erstes Künstlerduo arbeiteten Christine Bänninger und Peti Wiskemann aus Zürich mit Klientinnen und Klienten und den Angestellten im Weidli zusammen. An einem grossen Ateliertisch wurden aus Altkarton – die Menschen mit Beeinträchtigungen hatten ihn selbst gesammelt – Streifen geschnitten. Dann malte und tackerte man. Das Ziel: Entlang der Rampe sollte ein bunter, «wilderwald» wachsen. Alle Beteiligten waren Feuer und Flamme. Der Ateliertisch wanderte. Auf alle Etagen der Tagesstätte, in die Werkstatt, in die Cafeteria und im Sommer auch auf die Terrasse.

Zum Kunstwerk kam Musik und Tanz

Die Künstlerin Christine Bänninger erinnert sich, wie das bunte Buschwerk nach und nach sichtbar wurde: «Wo unser Wald im letzten Frühjahr noch etwas knorrig und wild der Decke des Raumes entsprang, entwickelte er sich in tieferen Regionen leichter, filigraner und verspielter.» Und ihr Kollege Peti Wiskemann ergänzt: «Während dieses Jahres sind uns die Leute im Weidli ans Herz gewachsen.» Zusammen mit dem Hausdienst wurden die farbigen «Äste und Zweige» installiert. So breitete sich in der Tagesstätte ein immer dichteres Flechtwerk als «wilderwald» aus. Das war aber nicht alles: Das ganze Jahr hindurch bot man auch Musik und Tanz. Zu geniessen gab es eine musikalische Improvisation mit Gabriel Stampfli und Felix Perret oder einen feurigen Tanzevent mit der Tanzcompanie «zeitSprung». Thomas Hochreutener, Vizepräsident der Stiftung Weidli, betonte an der Finissage: «Das Projekt ist sehr gelungen, auf dem Weg durch den ‹wilderwald› kam es zu zahlreichen Begegnungen und Gesprächen zwischen Besuchenden und Beteiligten.»

Im August etwa trafen sich Klientinnen und Klienten mit Pfadfindern. Im Blog schwärmen diese: «Im Teamwork ist der Wald wiederum ein Stück mehr gewachsen, bei Kaffee und Kuchen kam es zu interessanten Begegnungen.» Der arbeitsagogische Begleiter von Klientinnen und Klienten, Roland Doggwiler, schreibt im Blog: «Mit dem Kunstprojekt ‹wilderwald› wird innerhalb der Stiftung Weidli ein neues Miteinander geschaffen, es hat sich eine Einheit gebildet, welche über die einzelnen Bereiche hinaus verbindet.»

Aufregung und lautere Freude

Zum «Grande Finale» bei Marroni und Glühwein hatte Initiant Klaus Keller auch die Klientin Isabelle Würsch und den Klienten Nils Gasseling eingeladen. Ja, die beiden sollten sogar ans Mikrofon treten und ein paar Sätze sagen. Mit Erstaunen stellte man fest, wie sie vor lauter Aufregung und Freude keine Sekunde mehr ruhig auf ihren Sitzen zu verharren vermochten. Und alle im Raum spürten, wie gut so ein Projekt diesen Menschen mit Beeinträchtigungen tut. Auch wenn sie es nur schwer in Worte fassen konnten, ihre Augen sagten alles. Nils Gasseling forderte die Besuchenden auf, in ihren Wald zu kommen, aber dabei immer Masken zu tragen!

«Unsere Klienten werden schwer verstehen, wenn wir nun ihr ‹wilderwald› abholzen und es könnten sogar Tränen fliessen», befürchtet Klaus Keller. «Unsere Menschen freuen sich so sehr, wenn sie in Begleitung kreativ tätig sein und etwas entstehen lassen können», weiss Keller. Auch Klänge oder tänzerische Bewegungen würden ihnen Freude bereiten. «Alles, was zuerst ans Herz geht, macht ihnen Freude.» Menschen mit Beeinträchtigungen würden mit ihren kaum versteckten Emotionen oft das sagen, was andere nicht sagen könnten.

Wenn dann die Bäume, Äste und Zweige des «wilderwalds» nicht mehr sind, startet im Weidli schon das nächste Abenteuer. Diesmal warten gleich vier Innerschweizer Künstlerinnen mit dem Projekt «Umwege» auf: Helen Bösch, Anna Gallati, Katrin Wüthrich und Karin Schulthess. Auch sie werden im Weidli die Klientele wie ihre Betreuerinnen und Betreuer ins Projekt miteinbeziehen: Mit Workshops, Gesang, Gestaltung, Tanz und Performance. Man darf gespannt sein. Einmal mehr.

Nach dem «Grande Finale» kann man in der Tagesstätte der Stiftung Weidli Stans das Kunstprojekt «wilderwald» noch bis Mitte Januar 2022 bestaunen. In der Weihnachtszeit ist es beleuchtet.

Kommentare (0)