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Nidwalden

So nah war einem Künstlerin Gertrud Guyer Wyrsch noch nie

Zurzeit begegnet man der Künstlerin Gertrud Guyer Wyrsch dort, wo sie ihre letzten Schaffensjahre verbracht hat: im Haus Wyrsch in Stans.
Kunstvermittler Urs Sibler in der «Hausstellung». (Bild: Romano Cuonz)
Im Schlafzimmer etwa hängt hinter den Betten einer ihrer berühmten Wandteppiche. (Bild: Romano Cuonz)
Der letzte Knäuel, den Gertrud Guyer Wyrsch mit über 90 Jahren noch geschaffen hat.  (Bild: Romano Cuonz)
Im Gewölbekeller des Stanser Hauses Wyrsch eröffnet sich Besuchern zurzeit eine einzigartiger Blick auf Skulpturen und Türme der Künstlerin Gertrud Guyer Wyrsch. (Bild: Romano Cuonz)

Romano Cuonz

Romano Cuonz

Romano Cuonz

Romano Cuonz

Zurzeit empfängt Kunstvermittler Urs Sibler Besucherinnen und Besucher gerne im obersten Stock des herrschaftlichen Stanser Hauses Wyrsch gegenüber der Rosenburg. «In diesem Wohnraum sieht alles noch genauso aus wie zur Zeit, als die Künstlerin Gertrud Guyer Wyrsch und ihr Mann Diego Wyrsch hier mit Gästen über Kunst und Literatur plauderten», erzählt er. Das helle Rundum-Himmelsbild in diesem Zimmer sei eine Kreation der Künstlerin. Wenn man dann von einem Zimmer zum andern geht, mal da, mal dort zahllosen kleinen und grossen Arbeiten begegnet, glaubt man, der genialen Frau ganz nahe zu sein. Ja, man spürt förmlich ihre Anwesenheit.

Doch die Schweizer Kunstmalerin, Illustratorin, Textil- und Objektkünstlerin Gertrud Guyer Wyrsch ist 2013 im hohen Alter von 93 Jahren in Stans verstorben. Vergangenes Jahr wäre sie 100 Jahre alt geworden. Dies nahmen drei ihr nahestehende Personen zum Anlass, sie mit ihrem über 1000 Werke umfassenden Nachlass nochmals zum Leben zu erwecken. Ergriffen hat die Initiative ihre Tochter Ana Holenstein-Wyrsch. Unterstützt wurde sie von zwei Freunden der Künstlerin: vom Bieler Filmer und Maler Stefan Hugentobler und von Urs Sibler, der mehrere ihrer Ausstellungen kuratiert hat.

Fotos, Skizzen,Trouvaillen

Einen beinahe intimen Einblick ins Künstlerleben des Paares Gertrud und Diego Guyer Wyrsch erhält man in einem kleinen Raum, in dem noch die alten Regale stehen. Darin aufgestapelt Skizzenhefte der Künstlerin. Zum ersten Mal erhält man Einblick in Welten, die einem bislang verschlossen waren. Auch an den Wänden Studien mit Blick aufs Meer oder in Landschaften. Und dazwischen immer auch Fotos, die ihr Mann Diego gemacht hat: Einmal sieht man Gertrud Guyer Wyrsch als junge Frau mit dem Kinderwagen, einmal auf einer Vespa sitzend. Urs Sibler berichtet: «Mit diesem Roller fuhr sie mehrmals jährlich nach Paris, um in einer dortigen Akademie Kurse zu besuchen».

Sogar ins Schlafzimmer darf man einen Blick werfen. Über weiss bezogenen Betten hängt eines der für die Künstlerin so charakteristischen Tücher, in das sie mit Punkten und Strichen ganze Landschaften zaubert. Eine wahre Trouvaille. Vor einem goldumrahmten alten Wandspiegel steht die letzte Skulptur, die die damals schon 93-jährige Künstlerin trotz nachlassender Kraft noch fertiggestellt hat. Typischerweise einer ihrer vielen Knäuel. Unentwirrbar scheinen die Endlosschleifen, vor allem aber lassen sie einen von einem Blick zum nächsten Überraschungen erleben. Urs Siblers Worte dazu: «Dieser letzte Knäuel ist weniger dicht als andere, geradezu geöffnet ist er. Die bis ins hohe Alter vitale und erfinderische Künstlerin wusste zu diesem Zeitpunkt, dass das Leben endlich ist.»

Einzigartiges Schaulager im Gewölbekeller

Beim Gang über wunderschöne Parkettböden durch sechs Räume im alten Haus oder durch den Garten an Skulpturen vorbei, hin zum Ateliergebäude, erlebt man Gertrud Guyer Wyrsch über fünf Jahrzehnte ihres Schaffens. Über verschiedenste Perioden auch. Da ist das faszinierende Linienspiel in abstrakten Kompositionen. Die in Schwyz, Bern und Nidwalden tätige Frau fand nach gegenständlichen Anfängen, vor allem in den Fünfzigerjahren, zur gegenstandslosen Kunst. Von da an war sie, als weibliche Vorreiterin, in bedeutenden Ausstellungen der abstrakten Kunst vertreten.

Sie verstand es, faszinierend bewegte Rhythmen auf die Leinwand zu zaubern. Ocker- oder sandfarbene Gründe mit weissen und blauen Akzenten verbreiten mediterrane Stimmung mitsamt ihrer ganzen Farbenpracht. Viele dieser Werke sind in ihrem Sommersitz in Cadelta bei Barcelona entstanden. Wenn man sie länger betrachtet, beginnen sie zu vibrieren. Melodien entstehen. Wen wundert’s, dass es zu einer engen Zusammenarbeit mit den Stanser Musiktagen 2021 kam. Ein Bild von Gertrud Guyer Wyrsch ziert sogar deren Programm.

Einen Höhepunkt in der witzigerweise «Hausstellung» benannten Ausstellung erlebt man, wenn man den Gewölbekeller betritt. Über die dortige Präsentation setzen die Macher den Titel «Schaulager». In der Tat: Die Gesamtschau über eine ganze Landschaft mit Türmen, Säulen, Kuben, offenen Bändern und verwickelten Knäueln ist wohl einmalig. Man kommt sich als Betrachter vor wie ein Abenteurer in einem Wunderland. Sogar ein Wiedersehen, wenigstens mit Resten des berühmten Mobiles aus bemaltem Schwemmholz, gibt es in diesem Keller. Eines ist sicher: Wer im nächsten Monat den Weg ins Haus Wyrsch nicht findet, verpasst etwas.

«Hausstellung»: 100 Jahre Gertrud Guyer Wyrsch im Haus Wyrsch, Tottikonstrasse 2 Stans. 10. April bis 16. Mai. Details zum Rahmenprogramm und zu Öffnungszeiten: www.guyerwyrsch.ch.

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