notifications
Wilhelm Tell

Filmemacher rühren mit sehr grosser Kelle an

Unzählige Urner standen 1960 für «Wilhelm Tell – Burgen in Flammen» vor der Kamera, 400 Statisten waren im Einsatz. Doch der Film wurde ein finanzieller Flop und im Kalten Krieg gar zum Politikum.
Die bekannte Rütlischwur-Szene im Film «Wilhelm Tell – Burgen in Flammen». (Bild: PD)

Elias Bricker

Wie die Geschichte ausgeht, ist allgemein bekannt. Dennoch wurde die Sage von Wilhelm Tell in den vergangenen 95 Jahren mindestens sieben Mal verfilmt. Und aktuell plant der Obwaldner Künstler Luke Gasser eine weitere Kinoinszenierung des Stoffs. Der in der Schweiz bekannteste Film dürfte jener von 1961 sein: «Wilhelm Tell – Burgen in Flammen».

Die Produzenten rührten mit der ganz grossen Kelle an. Rund 40 Sprechrollen gab es zu verteilen. Zudem standen mehr als 40 Reiter und 400 Statisten im Einsatz. Wer damals als Schauspieler in der Schweiz einen Namen hatte, erhielt eine Rolle. Der Film wurde daher zum Stelldichein der Schweizer und teilweise auch deutschsprachigen A- bis C-Prominenz.

Von Schmidhauser über Carigiet bis Rasser

So mimte Bühnen-Ikone Maria Becker Gertrud Stauffacher, ihr Mann Robert Freitag Willhelm Tell und die Schweizer Fussballikone Hannes Schmidhauser («Ueli der Knecht») den Melchtal. Aber auch Volksschauspieler wie Zarli Cariget («Gilberte de Courgenay»), Paul Bühlmann (bekannt von den Kasperli-Kassetten), Inigo Gallo oder Alfred Rasser («HD Läppli») spielten in kleineren Rollen mit. Gedreht wurde im Sommer 1960 vorwiegend in der Innerschweiz – insbesondere im Kanton Uri – so etwa auf dem Rütli, am Klausenpass, im Brunnital und in Aesch hinter Unterschächen, im Reussdelta, am Gitschen ob Seedorf oder in Attinghausen, wo die Filmemacher den mittelalterlichen Wohnturm Schweinsberg mit einer Kulissen-Palisade ausgestattet hatten.

Vier Flugzeugmotoren für einen Sturm auf dem See

Das Dorf Hospental verwandelte sich dank aufwendiger Kulissenbauten in das mittelalterliche Altdorf und der historische Turm in die Baustelle der Zwing Uri. Für die Apfelschussszene benötigten die Regisseure beinahe 400 Statisten und unzählige Helfer im Hintergrund. Diese rekrutierten sie vorwiegend im Kanton Uri und schalteten in der Lokalpresse entsprechende Inserate. Gesucht wurden insbesondere Männer mit Bärten. Ohnehin stellten die beiden Regisseure Michel Dickoff und Karl Hartl die Urschweizer Landschaft bewusst in Szene. Für die Sturmszene beordern sie sogar vier Flugzeugmotoren und hydraulische Pumpen auf den Vierwaldstättersee, mit denen sich Wellen schlagen liessen.

Die Innenaufnahmen wurden ebenfalls vorwiegend im Kanton Uri produziert: im Tellspielhaus in Altdorf. Auch hier rührten die Macher mit der ganz grossen Kelle an. Die Kulissen waren nicht wie bei anderen Produktionen üblich aus Pappe, sondern aus massivem Holz und Beton. Daher erstaunt es nicht, dass im Tellspielhaus schliesslich eine Innenwand unter dem Gewicht der Kulissen zusammenbrach. Trotz der aufwendigen Machart – oder gerade deswegen – wurde der Film ein finanzielles Debakel.

Verkauf an Sowjetrussen verhindert

Die Produktionskosten beliefen sich am Schluss auf fast 3 Millionen Franken – das war rund doppelt so viel, wie ursprünglich budgetiert. Somit spielte der Film auch nur rund die Hälfte der Ausgaben wieder ein. Denn auch im Ausland fand der Streifen keine breitere Resonanz. Die Produzenten verlangten schlicht zu viel für den Verleih, sodass die «Löwen-Firma» Metro-Goldwyn-Mayer schliesslich darauf verzichtete, den Film für den amerikanischen Markt zu erwerben.

Filmverkauf nach Russland platzt

Stattdessen wurde «Wilhelm Tell – Burgen in Flammen» ein Politikum des Kalten Krieges. Er räumte bei einem Festival in Indien und beim Internationalen Filmfestival in Moskau Preise ab. Eine russische Firma bot den Produzenten schliesslich eine halbe Million Franken an, um den Film mit einigen Änderungen in der Sowjetunion laufen zu lassen. Doch dagegen regte sich in der Schweiz Widerstand. Eine Bürgeraktion sammelte Geld, um den Verkauf des Nationalhelden an die Bolschewiken zu verhindern. Der Produzent erklärte sich bereit, auf den Deal mit den Russen zu verzichten, wenn das Schweizer Volk das Defizit übernehme. Doch am Schluss brachte die Bürgeraktion lediglich 56000 Franken beisammen und der geplante Filmverkauf nach Russland platzte ebenfalls.

Franz Schnyder geht leer aus

Die Tell-Verfilmung blieb der einzige Film des Luzerner Produzenten Josef Richard Kälin und von dessen Urschweizer Filmproduktionsfirma, die im Filmgeschäft zuvor keine Erfahrungen gesammelt hatte. Viel bekannter wurde der einstige Kinobesitzer später mit seinen Erfindungen – so beispielsweise mit einem Oberflächenbelüfter, der heute in Kläranlagen weltweit eingesetzt wird.

Das horrende Tempo, das Kälin Ende der 1950er-Jahre bei der Planung der Produktion anschlug, verhinderte überdies, dass der bekannte Filmemacher Franz Schnyder («Ueli der Knecht», «Gilberte de Courgenay», «Heidi und Peter» et cetera) eine kritischere Verfilmung des Tell-Stoffs realisieren konnte.

Kommentare (0)