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Uri

In der alten Sprengstofffabrik bekriegen sich Freunde mit leichter Munition

Auf dem Gelände der Cheddite treffen sich junge Leute zum Airsoft-Gefecht. Das Areal zieht Spieler aus der ganzen Schweiz an.
Vereinspräsident Raphael Imholz (Bild: Urs Hanhart (Bauen, 20. Juni 2020))
(Bild: Urs Hanhart (Bauen, 20. Juni 2020))

Lucien Rahm

Das Bild gleicht auf den ersten Blick einer Szene aus einem bewaffneten Konflikt. Ein halbes Dutzend Männer in Tarnanzügen sprintet los, um sich mit Sturmgewehren im Anschlag einem anderen halben Dutzend Männer zu nähern, die ihrerseits das Gleiche tun. Bevor es zum Sichtkontakt mit dem gegnerischen Team kommt, wird das Tempo reduziert, die Spieler wechseln in einen Schleichmodus oder kommen ganz zum Halt, indem sie sich hinter einer Stahltonne, einer Holzpalette oder einer Wand verstecken. Dort warten sie das Erscheinen des Gegners ab.

Sobald sich die Kontrahenten erblicken, betätigen sie den Abzug ihrer Langwaffe. Aus diversen Ecken des rund 1500 Quadratmeter grossen Spielareals auf dem Gelände der ehemaligen Sprengstofffabrik Cheddite ertönt ein gedämpftes doch klares Knattern. Es ist der Klang zahlreicher weisser Kügelchen, die mit bis zu 125 Meter pro Sekunde aus den Mündungen der täuschend echt aussehenden Gewehre treten.

Je nach Antrieb des Schussgeräts – Gas, Elektromotor oder Federzug – kann es bis zu 35 Geschosse pro Sekunde von sich geben. Wer getroffen wird, hebt die Hand, ruft «Hit» und nimmt sich aus dem Spiel. Sind alle Mitglieder eines Teams getroffen, gewinnt das gegnerische.

Urner Spielgelände hat Seltenheitswert

Die Männer im Alter von 18 bis 45 Jahren haben sich an diesem Samstagmorgen in Bauen eingefunden, um den ganzen Tag lang mehrere solcher Spielrunden in unterschiedlichen Variationen auszutragen. Sie kommen aus Uri, aber auch aus Zürich oder Basel. Organisiert hat den Anlass der Airsoft-Verein Uri, der monatlich hierzu einlädt. Für 50 Franken ist man dabei, inklusive Mittagessen vom Grill. Vereinsmitglieder nehmen kostenlos teil.

«Spielgelände wie dieses gibt es in der Schweiz eben sehr wenige», sagt Vereinspräsident Raphael Imholz, der als Pistolenschütze das letztjährige Historische Pistolenschiessen auf dem Rütli gewonnen hat. Das mache Bauen auch für auswärtige Spieler interessant. Der Verein wurde Ende 2018 von 14 Personen gegründet. In mehrwöchiger Handarbeit haben die Mitglieder das Areal selber hergerichtet, mit Deckung bietenden Gegenständen ausgestattet und ein altes Lagermagazin zum Aufenthaltsraum ausgebaut.

Zur Sportart gefunden hat Imholz durch die Youtube-Videos eines Airsoft-Profis aus Österreich. «Das sah sehr interessant aus und ich dachte, das könnte man auch selbst mal ausprobieren.» Zusammen mit Freunden und Kollegen von der Arbeit hat der Elektrotechniker die benötigten Spielgeräte gekauft und begonnen, nach einem passenden Areal in Uri zu suchen. Zu Beginn seien sie eher auf Ablehnung gestossen. Fündig wurden sie aber schliesslich bei der Cheddite an der Isleten, welche ihnen nun einen Teil ihres Geländes vermietet.

Tragen von Schutzbrillen ist obligatorisch

Der 24-jährige Vereinspräsident aus Attinghausen wohnt dem Geschehen heute mit drei weiteren Vorstandsmitgliedern des Vereins als Schiedsrichter bei. Sie stellen sicher, dass sowohl die coronabedingten Schutzmassnahmen eingehalten werden als auch jene Sicherheitsregeln, die auf dem Spielfeld generell gelten. Dort ist das Tragen einer Schutzbrille obligatorisch. Denn ein Treffer durch eines der weissen Kügelchen erfolgt nicht ohne Spuren. Imholz sagt:

«Blaue Flecken sind keine Seltenheit.»

Treffen die Geschosse unbedeckte Haut, können sie auch blutige Stellen hinterlassen.

Das Airsoft-Spiel fordere den Körper aber auch in Sachen Bewegung, sagt Vereinskollege Kevin aus Bürglen. «Ich habe vor drei Tagen gespielt, und spüre den Muskelkater jetzt noch. Eine gewisse Sportlichkeit lohnt sich schon.» Die Teilnehmer spielen in der Regel mehrere Stunden lang, unterbrochen von einigen Verpflegungspausen. Dabei befinden sie sich oft im Laufmodus– was die Schützen in ihrer Ausrüstung bei den aktuellen Temperaturen rasch ins Schwitzen bringt.

Die meisten Mitspieler tragen einen Tarnanzug, eine Weste, einen Helm, bisweilen Handschuhe und eine Schutzmaske. Damit das Visier der obligaten Schutzbrille nicht beschlägt, haben sich gewisse Spieler eine elektronische Lüftung daran angebaut.

So zum Beispiel ein Besucher aus Basel, der regelmässig zum Spielen nach Uri kommt – heute mit zwei Kollegen. Der ausgebildete Fitnesstrainer findet unter anderem Gefallen am Gemeinschaftsaspekt des Sports:

«Man spielt hier als Team und muss zusammenarbeiten können. Als Rambo kommt man nicht weit.»

1200 Franken für ein Gewehr

Auch für Loris aus dem Kanton Zürich sei das ein wichtiger Faktor. Ausserdem schätzt er den sportlichen Aspekt beim Airsoft – derart, dass er in seiner Weste noch zusätzliche Gewichte verstaut hat. Der 20-jährige Schreiner hat in seinen eineinhalb Aktivjahren bereits etwa 7000 Franken für sieben Gewehre und Ausrüstung ausgegeben. Auch ein Scharfschützengewehr im Wert von rund 1200 Franken zählt zu seinem Arsenal.

Kollegen haben Loris den Sport nähergebracht. Sie würden ihn meistens auch zu den Events begleiten. «Wenn es möglich ist, gehen wir jedes Wochenende an ein Spiel.» Die Geselligkeit sei einer der Faktoren, die den Airsoft-Sport für ihn zum Vergnügen machen, sagt er. Und weiter:

«Man trifft hier auf nette und offene Leute.»

Er schätze zudem das Fairplay, das bei diesem taktischen Teamsport herrsche. Dass er getroffen wurde, muss jeder selber kundtun.

Die Waffen dürfen erst ab 18 Jahren gekauft werden

Transparenz herrscht übrigens auch beim Erwerb der Schussgeräte, der ab 18 Jahren möglich ist. Gemäss der Bundesgesetzgebung gelten sie als Waffen, da sie aufgrund ihres Aussehens mit dem Original verwechselt werden könnten. Für den Erwerb muss sich der Käufer ausweisen und einen Vertrag unterzeichnen, den der Händler zehn Jahre lang aufzubewahren hat.

Weniger Transparenz soll hingegen während des Gefechts herrschen. Um nicht auf Anhieb entdeckt zu werden, tragen die meisten Spieler Tarnfarben. So auch Loris: «Ich gehe gerne auch schleichend auf die Gegner zu.» Dabei sei es natürlich hilfreich, sich optisch der Umgebung anzupassen. Eine Umgebung, die im Übrigen bislang gut auf das Treiben auf dem Areal reagiere, sagt Vereinspräsident Raphael Imholz.

Zwischen der Hauptstrasse am See und dem Trainingsgelände steht ein hoher, überwachsener Wall, am anderen Ende grenzt es ein Zaun vom Rest des Cheddite-Areals ab. Das Schiessen in die Luft ist den Teilnehmern untersagt, damit keine Geschosse ausserhalb des Geländes zu liegen kommen. Und jene Kügelchen, die in grosser Zahl den Boden des Areals garnieren, lösen sich in absehbarer Zeit von selbst auf. «Das sind Biokugeln aus Maisstärke und Kalzium. Je nach Temperatur lösen sie sich in 47 Tagen bis 4 Jahren auf.»

Der Verein von Raphael Imholz soll hingegen langlebiger sein. Mittlerweile ist er auf 20 Mitglieder angewachsen. «Leider sind nicht mehr alle so aktiv.» Möglicherweise ändert sich dies wieder, wenn der Verein sein Gelände wie geplant noch erweitern darf.

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