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Zug

Als das Zuger Jünglingsheim verschwand

Vor zehn Jahren entstand am Bundesplatz die Arealbebauung «Citypark». Sie hat zweifellos eine städtebauliche Aufwertung gebracht. Ihre Planung hatte im Vorfeld jedoch für hitzige Gemüter gesorgt. Ein Rückblick.
Das ehemalige Jünglingsheim mit dem alten Hotel Bahnhof von 1886 (rechts). Heute befinden sich hier unter anderem der «New Yorker» und die Buchhandlung Balmer.Archivbild: Werner Schelbert (Zug, 26. April 2004)

Andreas Faessler

Die Zuger erinnern sich noch bestens an das sogenannte «Jünglingsheim» an der Alpenstrasse, wo Benachteiligte, finanziell Schwache, Langzeitpensionäre und Randständige Obdach fanden. Im April 2004 war in der Zeitung zu lesen: «Zu verkaufen: an bester Lage im Geschäftszentrum Zug 2460 Quadratmeter Bauland mit baufälligem Gebäude» – die Stiftung Jünglingsheim hatte die Liegenschaft zum Verkauf ausgeschrieben. Die Meinungen waren stark gespalten. Warum muss die etablierte soziale Institution weichen, bevor klar ist, was mit den Bewohnern geschehen soll? Und dies in Zeiten, in denen ohnehin ein zunehmender Mangel an günstigem Wohnraum herrscht. Doch es half nichts: Im September 2004 war klar, dass die verbliebenen Bewohner und auch der dort eingemietete Zuger Arbeitslosentreff per Ende Juli 2005 gehen müssen.

Olle Larsson, Inhaber der Baarer Firma Medela AG, hatte die Liegenschaft gekauft. Seine Absicht: das Grundstück gemäss rechtsgültigem Plan Rigistrasse West zu bebauen – mit zwei, fünf- und einem vierstöckigen Gebäude, das Ladengeschäfte, Büro- und Wohnraum beherbergen soll. Ende August 2005 machte die Abrissbirne den Heimkomplex mitsamt 1886 erbautem Hotel Bahnhof dem Erdboden gleich.

Larsson beauftrage das renommierte Basler Architekturbüro Diener & Diener mit der Arealbebauung namens «Citypark» und liess den Planern freie Hand in der architektonischen Gestaltung. Die drei kubischen Gebäude sahen rund 2400 Quadratmeter Ladenfläche, 3750 Quadratmeter Bürofläche und 2950 Quadratmeter Wohnfläche vor. Vor zehn Jahren – Anfang März 2008 – wurden die Neubauten ihrer Bestimmung übergeben. Damit fand eine knapp 40 Jahre dauernde Stadtentwicklungsphase ein (vorläufiges) Ende.

Am Anfang war die Neustadtpassage

Ende der 1960er-Jahre bewegte sich das Gewerbe mit der Eröffnung der Neustadtpassage und der umliegenden Bebauung erstmals mit einem grossen Schritt Richtung Norden von der Altstadt weg. Die Bahnhofstrasse war nun die Haupt-Einkaufsmeile, die mit der Neustadtpassage und dem Nordmann (nachmals Manor) am Bundesplatz abschloss. Der nächste einschneidende Coup folgte 1987 mit der Eröffnung des Metalli-Centers, im Zuge dessen sich das ganze Geschehen abermals weiter nordwärts verschob. «Zu dem Zeitpunkt war die Altstadt noch belebt», erinnert sich Christoph Balmer, Inhaber des gleichnamigen Zuger Buchhandels, der heute als einer der Mieter seine Hauptniederlassung im «Citypark» hat. 1987 lag die Balmer-Hauptfiliale noch an der Neugasse. Das Geschäft lief gut, auch die neu eröffnete Dependance in der Einkaufs-Allee Metalli florierte. Doch die sukzessive Konzentration des Gewerbes in die nördliche Neustadt spürte Bücher Balmer spätestens ab 2000 immer deutlicher. «Innert drei Jahren büsste unser Laden an der Neugasse über einen Drittel an Umsatz ein», erinnert er sich.

Dieser «Niedergang der Altstadt», wie Christoph Balmer die Entwicklung verbildlicht, nahm seiner Ansicht nach spätestens mit der Eröffnung des neuen Bahnhofs Zug im November 2003 so richtig Fahrt auf. Die Zukunft für die Läden in Altstadtnähe, so auch für Balmer, war ungewiss. Dann wurde die Arealbebauung «Citypark» konkret, und Balmer sah seine Chance für einen neuen Standort. So kam es, dass er am 5. März 2008 sein neues Hauptgeschäft in der brandneuen Überbauung am Bundesplatz eröffnete. Alle anderen Geschäfte in der urbanen Gebäudegruppe – New Yorker, Kuoni, Bank Julius Bär und Amplifon – nahmen ihren Betrieb ebenfalls in jenen Tagen auf. Wie Balmer sind sie bis heute Erstmieter geblieben. Für die alteingesessene Zuger Buchhandlung hatte der neue Hauptstandort den Effekt, dass sie zu ihrer eigenen Konkurrenz geworden war: Die Filiale in der Metalli-Passage verlor durch die Nähe zum «Citypark» an Frequenz und wurde 2013 aufgelöst. Laut Christoph Balmer kein Verlust: Die Kundschaft kommt seither an den Bundesplatz.

Alles in allem ist die Arealbebauung «Citypark», dessen Name sich im Bewusstsein der Zuger nie wirklich hat festsetzen können, ein Gewinn: zumindest für das Gewerbe und für Leute, die sich hochpreisige Wohnungen leisten können, aber auch für das Stadtbild. Der Zuger Heimatschutz lobte die Arealbebauung als «ein Gebäudeensemble von hoher städtebaulicher Qualität» und als «spannungsvolle Einheit mit drei eigenständigen neuen Baukörpern und drei bestehenden historischen Bauten».

Der «Citypark» war und ist somit eine Art «Schlussstein» des Einkaufsgebiets Metalli-Neustadtpassage-Bundesplatz, wie es im Standortprofil der Stadtentwicklung Zug definiert ist. Das Karree hat seither nichts an Attraktivität verloren, im Gegenteil: Mit der Renovation und Modernisierung des Coop City auf der anderen Strassenseite vor fünf Jahren hat die Ecke gleich noch eine weitere städtebauliche Aufwertung erfahren und sich endgültig als Schwerpunkt innerhalb der Einkaufs- und Gewerbezone in der Neustadt etabliert.

Ein leeres Einfamilienhaus für die Verbliebenen

Aber was ist mit den verbliebenen Bewohnern des Jünglingsheims geschehen, deren vertraute Umgebung einem prestigeträchtigen Bauprojekt geopfert worden war? Bis auf fünf haben zum Zeitpunkt der Schliessung des Heimes alle eine individuelle Lösung gefunden, wie aus Zeitungsberichten von damals hervorgeht. Die fünf Erfolglosen fanden demnach in einem leerstehenden Einfamilienhaus in der Stadt Zug eine vorläufige Bleibe. Der Zuger Arbeitslosentreff, heute ProArbeit Zug, konnte an der General-Guisan-Strasse einen neuen Standort beziehen.

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