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Zug

Der Baarer Bierbrauer Martin Uster sagt: «Wir würden auch eine zweite Welle überstehen»

Die Covid-19-Pandemie hat auch die Brauerei Baar hart getroffen, der Umsatz brach zeitweise um 50 Prozent ein. Das seit 1862 tätige Familienunternehmen ist mittlerweile aber finanziell über dem Berg, sagt der Geschäftsleiter Martin Uster (40).
Martin Uster fand nach stressigen Wochen wieder zur Entspannung.  (Bild: Matthias Jurt (Baar, 26. Juni 2020))
Martin Uster mit dem Braumeister Urs Rüegg und dem Anfang 2019 erstmals produzierten Dosenbier von Baarer Bier.  (Bild: PD)
Dora Buck († 2017) übernahm den Familienbetrieb im Jahr 1983 mit ihrem Sohn Kurt (rechts), weil ihre Brüder diesen verkaufen wollten. Im Jahr 1999 stieg ihr Enkel Martin ein. (Bild: Ana Birchler-Cruz (Baar, 12. November 2002))

Raphael Biermayr

Raphael Biermayr

Raphael Biermayr

Schon Anfang März reichten Sie die Hand nicht mehr zu Begrüssung und Abschied. Dachten Sie damals, dass das vier Monate später immer noch nicht angebracht sein wird?Es kommt mittlerweile vor, dass ich reflexartig darauf reagiere, wenn jemand mir die Hand hinstreckt. Aber im Grossen und Ganzen halte ich mich daran und habe ich mich daran gewöhnt. Der Mensch gewöhnt sich zum Glück schnell an alles, auch an die Coronasituation. Beim totalen Lockdown ab dem 16. März stand ich aber am Anfang schon mit abgesägten Hosen da, das schleckt keine Geiss weg.Sie reagierten schnell und lancierten wenige Tage später mit anderen Baarer Gewerblern einen Hauslieferdienst für Bier und Lebensmittel. Wie lief der?Das war eine super Erfahrung, wobei es sich rein finanziell nicht gross lohnte. Es ging in erster Linie sowieso nicht darum, viel Geld damit zu verdienen, sondern etwas für die Daheimgebliebenen zu tun. Und natürlich auch darum, unsere Angestellten besser auszulasten.Beantragten Sie für Ihre Angestellten Kurzarbeit?Wir hofften vergeblich, durch den Lieferdienst darum herumzukommen. So beantragten wir für die meisten der 35 Mitarbeiter ab dem 1. April Kurzarbeit bis zum 30. Juni. Die Ausgleichskasse bewilligte diese gleich bis zum 30. September. Ehrlich gesagt, hätte es nichts gebracht, uns dagegen zu wehren –uns brach dermassen viel Umsatz weg.Wie viel ist viel?Am Tiefpunkt lag der Umsatz bei 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dass der Braui-Markt offenbleiben durfte, war unsere Lebensrettung. Im April brachte er, mit nur vier Angestellten, 50 Prozent vom gesamten Umsatz ein. In normalen Jahren sind es etwa zehn. Dadurch mussten wir für die vier Angestellten auch keine Kurzarbeit anmelden.Ihr Bier ist auch im Detailhandel erhältlich, dessen Läden im Lockdown ebenfalls offen hatten. Wie lief das Geschäft dort?Wir sind froh, seit ein paar Jahren stärker im Detailhandel vertreten zu sein. Bei den Flaschenbieren lief immer etwas, und die Verkaufszahlen beim Dosenbier gingen… puh! (Er zeigt dabei steil nach oben)Sie wehrten sich lange gegen die Herstellung von Dosenbier.Das stimmt, wir haben es erst seit eineinhalb Jahren im Angebot. Der Auslöser war das Eidgenössische Schwingfest. Jetzt bin ich gottenfroh, machten wir diesen Schritt. Unser Fassbierabsatz ist im Lockdown um 97,5 Prozent eingebrochen.Wer kaufte die restlichen 2,5 Prozent?Take-aways und Private. Es gibt tatsächlich Leute, die zu Hause eine Ausschankanlage haben (lacht).Wie sehen die Zahlen heute aus?

Der Umsatz liegt wieder bei etwa 75 bis 80 Prozent. Seit kurzem haben wir mit «Sommerfrische» ein Saisonbier auf dem Markt, das sehr gut läuft. Dabei handelt es sich eigentlich um das Fussballbier, das wir zur Euro herausbringen wollten. Davon hatten wir schon vor dem Lockdown drei Sude, also rund 21'000 Liter, gebraut. Auch das ganze Werbematerial war bereits gedruckt und liegt jetzt hier im Haus. Ich hoffe, wir können es nächstes Jahr verwenden.Mit der Aufschrift Euro 2020?

Nein, es gibt keine Aufschrift mit Jahreszahl. Das leiteten wir noch vor dem Lockdown in die Wege, weil wir das Gefühl hatten, wir müssten vorsichtig sein.Und vom Bier mussten Sie nichts wegschütten?

Nein, nichts. Bei den Flaschenbieren ging der Umsatz nur um zehn Prozent zurück, das war kein Problem. Das meiste Fassbier war Mitte und Ende Februar abgefüllt worden und sechs Monate haltbar. Mittlerweile ist alles weg, wir sind also mit einem blauen Auge davongekommen.

Ein Überblick über das Firmengelände der Brauerei:

Sie bewarben auf Facebook während des Lockdowns, häufig die Angebote der von Ihnen belieferten Restaurants obwohl sie dadurch nichts verdienten. Erfuhr Ihre Firma auch Solidarität?

Sehr grosse, wie man im Braui-Markt sah. Zeitweise standen die Leute am Samstag Schlange.Hat das nicht eher mit der Tatsache zu tun, dass sie das Bier nicht im Restaurant trinken konnten?

Ich schätze fifty-fifty, aber das ist schwierig zu sagen. Ich habe schon das Gefühl, das hatte auch mit Solidarität zu tun.Nahmen Sie Kredite bei Bund oder Kanton auf?

Nein, und da sind mein Vater (Kurt Uster ist der Brauerei-Inhaber, Anm. d. Red.) und ich stolz drauf.

Wir hätten eher privates Geld eingeschossen, als uns zu verschulden und Kredite zurückzahlen zu müssen.

Stattdessen konnten wir auf ein Polster der Firma zurückgreifen und wir gingen sehr haushälterisch mit den Finanzen um, indem wir Investitionen stoppten. Das war zwar nicht in jedem Fall möglich. Zum Beispiel bekamen vor einem Monat einen neuen Lastwagen, den wir im Oktober bestellt hatten und aus jetziger Sicht nicht unbedingt brauchen würden. Ausserdem reduzierten wir die Werbeausgaben um bis zu 80 Prozent.Wie bewerten Sie die Situation der Wirte im Kanton Zug?

Seit den letzten Lockerungen habe ich wieder ein gutes Gefühl. Das Wetter ist endlich schöner geworden, was immer einen positiven Einfluss hat. Das sieht man an den Ausflugsrestaurants, die gut ausgelastet sind, wie ich kürzlich in den Wanderferien in Davos feststellte. Man merkt, dass die Leute lange zu Hause bleiben mussten und raus wollen. Aber das Wetter muss mitspielen. Ist das der Fall, werden wir in der Gastronomie bald wieder den Normalzustand erfahren.Befürchten Sie, dass der Lockdown in der Gastronomie jahrelange negative Auswirkungen haben wird, weil die Kredite zurückbezahlt werden müssen?

Ja. Für die, die sowieso knapp dran sind, sind diese Kredite wahrscheinlich nur ein Aufschub auf dem Weg zum Konkurs. Während der Coronakrise machten zwar drei, vier von uns belieferte Restaurants zu, bis jetzt ging aber keines Konkurs. Aber wir rechnen mit Zahlungsschwierigkeiten bei einigen Wirten in naher Zukunft.Und wie reagieren Sie darauf?

Wir scannen jeden Kunden, heutzutage bestehen ja viele Möglichkeiten dazu. Jetzt schauen wir noch stärker hin. Bei Wackelkandidaten bestehen wir auf Barzahlung bei Lieferung. Oder wir machen eine 14-tätige Abrechnung statt einer monatlichen. Dadurch können wir etwas schneller reagieren, wenn es zu Ausständen kommt.Ist eine Ihrer Lockdown-Lehren, dass Baarer Bier noch stärker im Detailhandel präsent sein soll?

Ich bin froh um unsere Diversifikation, denn ich will kein Klumpenrisiko. Die Gastronomie ist und bleibt ein wichtiges Standbein. Dazu kommen die Bierproduktion und -abfüllung für Dritte, zum Beispiel für Amboss Bier und Wädi-Bräu, darüber hinaus der Getränkehandel, der Braui-Markt für Privatkunden, der Detailhandel sowie Veranstaltungen.Letztere werden dieses Jahr kaum stattfinden.

Das tut weh, Veranstaltungen machen etwa 15 Prozent des Jahresumsatzes aus. Gerade im Juni wäre jedes Wochenende etwas los gewesen. Wäre ich ein knallharter Manager, müsste ich einen, zwei Mitarbeiter entlassen, einfach, weil die Aufträge nicht da sind. Aber wir entlassen niemanden und senken auch keine Pensa.

Die Kurzarbeit ist genau dafür da, solche Zeiten zu überbrücken. Ab dem 1. Juli werden wir auch die Löhne wieder zu hundert Prozent zahlen, also die Kurzarbeitsdifferenz ausgleichen.

Wir sind finanziell über dem Berg und würden auch eine zweite Welle überstehen. Denn wir lernten jetzt, mit einer solchen Situation umzugehen.Wie sind Sie persönlich damit umgegangen?

In den ersten drei Wochen war ich wahnsinnig gestresst, jeden Tag kamen neue Meldungen vom Bund, es brauchte viele Entscheidungen. Aber ich steckte zu keiner Zeit den Kopf in den Sand und versuchte, das nach aussen hin so auszustrahlen. Das ist mir, glaube ich, ganz gut gelungen. Ich tauschte mich auch mit Branchenkollegen aus, um mir eine Sicherheit dafür zu geben, dass wir es gut machten. Dann wurde es plötzlich ruhig und ich genoss es sehr, terminfrei zu sein. Auch die erwähnten Ferien taten gut – unter normalen Umständen würde ich im Juni nie Ferien machen. Das Wichtigste ist aber, dass ich bei bester Gesundheit bin und sich in der Familie und im näheren Umfeld niemand mit dem Virus angesteckt hat.Tranken die Leute im Lockdown nach Ihrer Einschätzung zu Hause mehr Alkohol, ist also Homeoffice gut für den Bierabsatz?

Ich glaube nicht, das gesellige Zusammensein fehlt. Wir führten die Generalversammlung des Brauereiverbands online durch.

Am Schluss prosteten wir in den Laptop, das war schon etwas doof.

Ich selbst trank privat wohl mehr Bier als sonst, ganz einfach, weil ich keine Termine hatte. Und sicher auch, weil es mich beruhigte, ich trinke ja gern Bier. Aber nicht allein zu Hause, sondern immer in Gesellschaft.
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