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Zug

Ein stoischer Referent und ein voller Koffer

Vor dem Zuger Strafobergericht hat ein verzwickter Prozess um IV-Gelder und psychosomatischen Beschwerden begonnen.

Das dreiköpfige Zuger Strafobergericht unter dem Vorsitz von Paul Kuhn hat am Donnerstag, 27. Februar, eine harte Nuss, nein gleich deren zwei, zu knacken. Die Schwierigkeit für den Referenten offenbart sich schnell. Mit einem Kraftakt sind diese nicht zu öffnen. Er muss mit Bedacht vorgehen. Es geht um ein Ehepaar aus dem Kanton Zug, welches das Strafgericht wegen gewerbsmässigen Betrugs verurteilte. So weit, so klar. Das «Aber» folgt gleich im Schlepptau: Das Ehepaar soll über längere Zeit eine IV-Rente ohne Rechtsgrund bezogen haben.

Zuerst bekommt der als Zeuge geladene Gutachter aus der Nordwestschweiz verbal unter die Räder. Der Beschuldigte löchert ihn. Will dies und das aus dem Dokument des Experten genauer wissen. Weil der Gutachter das Schriftstück vor längerer Zeit zu Papier gebracht hat, erhält er vom Referenten eine Kopie zur Stützung seiner Aussagen. Weil der Beschuldigte die Strategie des schnellen Themenwechsels praktiziert, ermahnt ihn der Referent Paul Kuhn: «Fragen sind erlaubt, aber bitte nur zum Gutachten.» Eine der zugelassenen Fragen lautet: «Kann erbrechen eine Folge von psychosomatischen Problemen sein?» Der sagt dann spitz: «Kann sein.»

Eine ins sich gekehrte Frau und ein kämpfender Mann

Im gleichen Stil geht es dann bei der Befragung der beiden Beschuldigten weiter. Die Frau wirkt eingeschüchtert, zittert und redet nur sehr leise. Der Mann ist ein Kämpfer. Er hat einen grossen schwarzen Koffer ins Gericht mitgebracht. Er ist gefüllt mit Ringordnern und Mäppchen. Der Referent schaut zum Beschuldigten und sagt:

«Haben Sie einen Fragebogen?»

Der Mann antwortet selbstbewusst:

«Ich habe die Fragen in meinem Kopf.»

Paul Kuhn muss sich da schon bewusst gewesen sein, dass er für das nun Kommende Nerven wie Drahtseile braucht. Der um die 40 Jahre alte Mann fasst seine Befragung so auf, als wären die Antworten verkappte Plädoyers.

Schon bald folgt die Ermahnung des Referenten: «Ihre Fragen müssen konkret sein.» Diese Aufforderung scheint bei ihm aber nicht anzukommen. Weiter doziert er mal über diesen Sachverhalt und dann wieder über einen anderen. Auch Zeitsprünge gehören zu seinem Programm. Die einzige Konstante in diesem fiktiven, wirren Drehbuch ist Paul Kuhn der mit fortwährend ruhiger Stimme immer wiederholt, dass der Beschuldigte konkrete Fragen stellen soll.

Die Krankenakte beginnt schon im Vorschulalter

Dieses Verfahren um IV-Gelder, welche die Beschuldigten wieder zurückbezahlen sollen, geht es um Zahlen einerseits und um seelische Unbill. Temporär kommt sich der Beobachter so vor, als befinde er sich in einer Sprechstunde bei einem Mediziner. Schneidet sich einer mit einer Kettensäge ins Bein, dann ist der Befund relativ einfach und offensichtlich. Kommt die Seele ins Spiel, befinden sich selbst Fachleute schneller als ihnen lieb ist auf dem Glatteis. Die Krankenakte der Frau fängt noch im Vorschulalter an. Der Grossvater hat sie missbraucht, später gerät sie im schulischen Umfeld an eine Person, welche sich an ihr vergeht. Kurz vor der Jahrtausendwende erleidet sie eine Kopfverletzung. Seither scheint sie irgendwie keinen festen Boden mehr unter den Füssen zu haben. Ein Arzt, der sie seither betreut, kommt auch zu diesem Schluss.

Das Gerichtsgutachten hingegen kommt zu einem diametral anderen Ergebnis. Zur Untermauerung des Fazits gibt es zahlreiche Aufnahmen in den Akten, die das stützen. Der Beschuldigte hingegen widerspricht heftig. Die psychosomatischen Leiden seiner Frau habe niemand thematisiert. Die Beweislage ist gerade in solchen Symptomen extrem schwierig. Für den Beschuldigten ist klar: Eine Verurteilung bedeutet für ihn den Jobverlust. Am 12. März geht die Verhandlung in die Verlängerung. Es stehen noch das Plädoyer des Anwalts des Mannes und jenes der Staatsanwaltschaft aus. Denn ist das Strafobergericht gefordert.

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