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Zug

Konzert: Vier Reiter und eine musikalische Jagd

Im Theater Casino Zug wurde am Donnerstag «Der Kreis» von Carl und Tobias Rütti uraufgeführt. Der Titel war gut gewählt und eine Metapher sowohl für die Dramaturgie als auch für die Formation des Konzertes.
Stimmige, sphärische Uraufführung: «Der Kreis» von Carl und Tobias Rütti riss das Publikum mit. (Bild: Stefan Kaiser, Zug, 23. Mai 2019)

Dorotea Bitterli

Schon beim Betreten des Grossen Saals des Theater Casinos packte einen die Neugier: Auf der riesigen Bühnenfläche standen zwei der grössten Steinway-Flügel, die es gibt – ohne Deckel, diagonal zueinander gerichtet. Im Hintergrund ergänzte sie ein gewaltiges Marimbafon, auf der einen Seite flankiert durch mannshohe Röhrenglocken, auf der anderen durch weitere Perkussionsinstrumente. An der rechten Bühnenwand aber imponierte ein grosses Vibrafon. Obwohl noch halb im Dunkeln, setzte dieser «Kreis» bereits visuell die Fantasie in Gang, zumal in seiner Mitte, auf einem Tisch ausgelegt, allerlei Trompeten und Trompetchen blitzten. Man ahnte, dass da gleich etwas rundherum, zyklisch, spiralig tönen und tanzen würde. Angesagt war die Uraufführung von «Der Kreis» der beiden Zuger Komponisten Carl und Tobias Rütti, Vater und Sohn. Etwas zwischen zeitgenössischer Musik und Jazz, etwas wie die «Jagd um den Böögg» am Zürcher Sechseläuten. Ein wilder nächtlicher Ritt also, sozusagen bei Vollmond und Feuerflackern. Mit vier Reitern: den beiden Pianisten und Brüdern Tobias und Rafael Rütti, dem Perkussionisten Raphael Christen und schliesslich dem Trompeter Immanuel Richter – «seines Zeichens Hauptfigur, Primus inter pares», wie das Programm verkündete.

«Fast ein Oratorium»

Befragt von der SRF-Musikredaktorin Mariel Kreis (ja, Kreis!) schilderte Richter in der Konzerteinführung, wie die Idee zum neuen Werk zwischen ihm und Freund Tobias Rütti entstand, wie er sich schon lange eine «Sinfonie für die Trompete» gewünscht hatte und wie beide gemeinsam mit Carl Rütti ein Werk entworfen haben, dessen Ende wieder in den Anfang mündet. Für ihn sei diese Musik auch «fast ein Oratorium», mit gesanglich-spirituellen Anklängen – also «typisch Carl». Wenn es aber «so richtig fetze», dann sei das Tobias’ Handschrift. Vater und Sohn Rütti hatten sich beim Komponieren satzweise aufgeteilt und gegenseitig inspiriert. «Im Anfang» lautet das erste der insgesamt 13 Stücke des Werkes. Es entsteht aus der Stille, mit nur langsam anschwellenden Marimba- und tiefen Klaviertönen, während Rafael Rütti über den Resonanzkasten seines Flügels gebeugt sanft dessen Saiten hinauf- und hinabstreicht, immer wieder – wie ein Windsäuseln. Dasselbe Motiv lässt mehr als eine Stunde später das Konzert ausklingen. Dazwischen aber entwickelt sich eine reiche Klangpalette und beeindruckende rhythmische Vielfalt. Das Pianisten-Bruderpaar ergänzt sich wundervoll, Höhe und Tiefe verteilen sich öfters auf die beiden Flügel. Manchmal lauschen sie lange einem Ton nach, dann wieder stürmen sie hämmernd vorwärts. Immanuel Richter wechselt immer wieder die Trompete, entlockt seinen Instrumenten bald die samtigsten und zärtlichsten, bald die grellsten und frechsten Farben.

Motive von Tag und Nacht

Nummer 7, «Liedlein», in welchem er die Bühne verlässt, um mit der Naturtrompete «von ferne» einen alphornartigen «Abendsegen» zu intonieren. Davor, im feurigen «Sonnenwagen», hat er zusammen mit beiden Flügeln und dem Marimbafon strahlend, ja triumphierend das Tagesgestirn aufgehen lassen. Dann aber spiegelt sich in der «Mondnacht» die Silberscheibe in Meer oder See. «Als alle Knospen sprangen» ist ein intimes Duo zwischen dem sensibel gespielten Vibrafon und einer äusserst launigen Trompete: Es beginnt in magischer Ruhe, dann aber gibt die Piccoloversion des Instruments plötzlich ihren spitzen, kecken, meckernden Senf dazu. Die zweite Hälfte des Konzertes widmet sich eher dem Herbst, den «Feuilles mortes». Und schliesslich tritt der «Tod» auf, der Todeskampf ein – in jagendem, wirbelndem Ritt, mit wiederholter Trompetenfanfare. «Stirbt der Böögg endlich?» fragt man sich unwillkürlich. Mit «...ohne Worte» und einer Reminiszenz an Miles Davis, der vor Jahren im Theater Casino gespielt hatte, schlossen die vier Musiker den Kreis dort, wo er begann – in der Stille. Das Publikum aber hatte in 70 Minuten einen eigenen inneren Ritt erlebt, auf der eigenen inneren Bühne, zwischen Tag und Nacht, Sonne und Mond, Knospen und Sterben. Was nicht in Worte zu fassen war, drückte sich in ungewöhnlich lang anhaltendem stehendem, warmem Applaus aus.

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