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Zentrum Paul Klee

Die Kunst der Verunsicherung: Vor den Turbulenzen der Geschichte kapituliert selbst Stahl

Die polnische Bildhauerin Monika Sosnowska verbiegt Treppen, Geländer und Tore. Nicht weil sie die gebaute Vergangenheit ihrer Heimat hasst. Das Zentrum Paul Klee zeigt ihre irritierenden Grossskulpturen – und eine Premiere. 
Das war einmal ein Markthäuschen. Monika Sosnowska, Ohne Titel (aus der Serie Market), 2013
Stahl und Lackfarbe
165 × 255 × 144 cm.
Bild: Bild: Simon Vogel/© Monika Sosnowska

Hilfreich soll ein Handlauf sein, dem Menschen und seiner Sicherheit dienen. Man kann sich an ihm auf der Treppe hochziehen oder sich bei Schwindelgefühlen auf dem Dach an ihn klammern. Wir trauen ihm, weil das handschmale Band meist aus Stahl gebaut ist. Doch wenn sich Monika Sosnowska um Geländer und Handläufe kümmert, endet es schief. Buchstäblich.

Für das Zentrum Paul Klee in Bern hat sie ihren neusten Handlauf konstruiert. Glücklicherweise nicht im Treppenhaus, das gäbe Verwirrung oder gar Unfälle, sondern im Ausstellungssaal. Ganz manierlich, aber hakenartig nach oben gebogen fängt er an, dann sackt er in einer Kurve fast bis auf den Boden ab, um sich wie eine Achterbahn hochzuschreiben, im Looping wieder abzustürzen, sich um die Raumecke zu winden. Schön, aber unbrauchbar. Und irritierend. Wie all die anderen Arbeiten von Monika Sosnowska in der Ausstellung.

Gewaltige Turbulenzen haben eine massive Metalltreppe gestaucht und zusammengeklappt. Selbst ein solid aus Winkelstützen verschweisster Metallturm hat sich unter zu viel Last verbogen und lässt müde den Kopf hängen. Doch unter welcher Last? Dieses Biegen und Zerdrücken von Geländern und Gestellen, die Deformation von Kioskhäuschen, das Auseinanderbrechen von Mauern ist nicht hier in Bern passiert.

Monika Sosnowska, Truss, 2019, Stahl und Lackfarbe, 443 × 127 × 99 cm. 
Bild: Bild: Patrick Jameson/© Monika Sosnowska

Sozialismus und Wende

Den Auslöser für diese brachiale Behandlung von architektonischen Strukturen müsse man in Polen und seiner (Bau-)Geschichte suchen, erklärt Kurator Martin Waldmeier. Sosnowska, 1972 geboren, wuchs im Sozialismus auf. Sie erlebte, wie die sozialistische Architektur mit zu wenigen Mitteln die zu grossen Baulücken des Zweiten Weltkrieges zu schliessen versuchte. Aber auch, wie ideenreich die Handwerker der Mangellage trotzten. Gab es keine Stahlgitter, bauten sie eben aus Armierungseisen ein Gartentor.

Vor allem prägte der Um- und Aufbruch nach der Wende 1989 die Künstlerin in einer Zeit, als einerseits kapitalistischer Wildwest herrschte, schnell und improvisiert Märkte und Geschäfte erstellt und andererseits ungeliebte Hässlichkeiten des sozialistischen Realismus abgebrochen wurden. Strukturen und Konstruktionen interessierten schon die Kunststudentin, die zuerst in Polen und dann in Amsterdam studierte. Ihren internationalen Durchbruch schaffte sie 2007 an der Biennale Venedig mit ihrem raumsprengenden Auftritt im polnischen Pavillon. In der Schweiz konnte man sie 2008 im Schaulager in Basel erleben, und im «Muzeum Susch» ist ihre gestauchte Treppenskulptur ein permanenter Blickfang.

Monika Sosnowska im Kunstraum Dornbirn, 2022.
Bild: Bild: Darko Todorovic

Heute lebt und arbeitet sie in Warschau und sucht hier ihre Inspiration. Davon zeugen ihre Fotos, die als Diaschau vor allem Abbruch und leere Tristesse, Zwischenräume und Konstruktionen zeigen, aber auch ein grosses Gespür für formale Qualitäten. Malerisch und in schöner serieller Folge reihen sich beispielsweise verwitterte Markthäuschen aneinander.

Vom Papiermodell zum Stahlwerk

Aus diesen realen Funden erarbeitet Sosnowska ihre Arbeiten. En miniature. In Modellen aus Papier und Karton, filigran und fragil, nur dank Lackierung haltbar. Rund fünfzig dieser wertvollen Stücke hat die Künstlerin mit nach Bern gebracht – eine Premiere.

Hier knäuelt sich ein Handlauf. Monika Sosnowska, Modell für Handrail, 2016 Papier, Karton. Courtesy of the artist.
Bild: Bild: Eva Herzog/© Monika Sosnowska

Aus den Modellen entwickelt sie zusammen mit Ingenieuren und Schlossern, die noch zu sozialistischen Zeiten ihr Handwerk gelernt haben, funktionstüchtige Metallfassaden, Treppen oder Gartentore. Alles in realer Grösse und Schwere. Teile, die sie faszinieren, aber so sonst nicht greifbar wären. Danach werden diese mit Walzen und Pressen, mit Kran und Zugseilen gebogen, gestaucht und verdreht, bis sie die gewünschte skulpturale Erscheinung zeigen. Eine einheitliche Farbgebung – meist schwarz, manchmal grün oder dunkelrot – lässt sie wie perfekte Industrieprodukte wirken.

Der Aufwand ist riesig, gerade weil Sosnowska mit der Trennung von Idee und Ausführung sich selbst schwierige Regeln vorgibt. Aber es geht ihr ja nicht um eine Dekonstruktion der Geschichte oder des gebauten Erbes, sondern um das Erkunden des konstruktiven Vokabulars. Des Vokabulars, das die Moderne erfand und das die Baukunst bis heute prägt. Im Guten wie im Schlechten.

Monika Sosnowska und Paul Klee

Durch ihr Verfremden müssen wir zweimal hinschauen: einmal, um über ihre Deformation zu schmunzeln und zum zweiten Mal, um die Strukturen und Form überhaupt zu erfassen. Auch über Raumwirkung, Schattenwurf und Ornament, über Regel, Abweichung und Freiheit könnte man sinnieren. Oder über brachiale Gewalt und filigrane Papierschnitzereien – und über die Liebe zur Linie, die sie mit Paul Klee teilt. Dass uns Monika Sosnowska lieber verunsichert, als unseren Händen, unserem Blick und Denken Sicherheit zu bieten, ist Absicht.

Monika Sosnowska, Zentrum Paul Klee, Bern, bis 10. September.

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