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Nidwalden

Oh Schreck(e) lass nach!

Franziska Ledergerber beschreibt in ihrem «Ich meinti» ein kulinarisches Erlebnis der besonderern Art - und überlegt weitere Möglichkeiten.
Franziska Ledergerber. (Bild Corinne Glanzmann.)

Franziska Ledergerber

Neun Stück zupfte ich, eines nach dem anderen vom Spiesschen, tunkte es in Sojasauce und knabberte mit Genuss. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich jemals so etwas essen könnte. Schaudernd stellte ich mir früher vor, wie sich beim ersten Bissen eine weiss-grün cremige Flüssigkeit in meinem Mund ausbreiten würde. Oh Schreck, lieber verhungern, als in ein so widerliches Insekt zu beissen!

Ja, so dachte ich, bis kürzlich eine Vorspeise mit frittierten Heuschrecken auf der Speisekarte eines thailändischen Restaurants lockte. Aus Neugier schloss ich mich einer Portion zu zweit an. Die Insekten wurden akkurat in Reih und Glied aufgespiesst zusammen mit Randenjuliennes serviert. Das Plättchen sah ganz ansprechend aus, und entgegen meinen Befürchtungen waren die Heuschrecken knusprig, hatten Biss und schmeckten angenehm nussig. Insgesamt eine positive Überraschung.

In vielen Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas stehen Insekten seit Urzeiten auf dem Speiseplan. Doch nur schon beim Gedanken an ein solches Menu vergeht so manchen der Appetit. Was in vielen Regionen der Erde üblich ist, setzt sich in Europa nur sehr langsam durch. Coop lancierte in der Schweiz als erster Detailhändler Produkte basierend auf essbaren Insekten. Zusammen mit dem Start-up Essento lud Coop vor Jahren zu einem «Insekten Dinner» ins Tropenhaus Wolhusen ein. Abgesehen davon, dass ich nicht auf der Gästeliste stand, hätte ich auch so dankend abgesagt. Jetzt jedoch, nach meiner geglückten «Initiation», wäre ich natürlich voll dabei, würde man mich denn fragen. Insekten sind potenzielle Spender von Proteinen, Mineralstoffen und Vitaminen. Ein zusätzlicher Pluspunkt liegt in der Nachhaltigkeit. Im Vergleich zu herkömmlichem Fleisch ist die Zucht von Insekten auf kleinerem Raum möglich und hat einen tieferen Wasser- und Futterverbrauch. Der Treibhaus-Ausstoss bei der Produktion ist im Vergleich zu anderen Fleischproduktionen um ein Hundertfaches reduziert.

In Jemen, Oman und in Ostafrika grassiert derzeit eine Heuschreckenplage. Enorme Schwärme verdunkeln zuweilen den Himmel. Die Wanderheuschrecken fressen in einer sich immer wieder neu bildenden Armada von Millionen Individuen rasend schnell alles weg, was grün und saftig ist. Zurück bleibt verwüstetes Land. Die Ernten sind zerstört, es droht eine Hungersnot. Nach jahrelangen kriegerischen Auseinandersetzungen am Horn von Afrika steht der gebeutelten Bevölkerung nun die nächste Katastrophe bevor. Angesichts solcher gefrässigen Schwärme ist es kaum zu glauben, dass dieses Ungeziefer wertvolles Nahrungsmittel für den Menschen sein könnte. Dass diese Heuschrecken die Ernte, die sie vertilgt haben, wieder wunderbar in Proteine, Vitamine und Mineralstoffe verwandeln.

So gesehen sind solche Heimsuchungen nicht nur Fluch, sondern auch Segen. Proteinbomben sozusagen, wie biblisches Manna, das vom Himmel fällt. An Ort und Stelle verarbeitet, gefriergetrocknet und konserviert wären sie zumindest ansatzweise eine Kompensation zum Ernteausfall. Ich weiss, satt und zufrieden lässt es sich gut träumen. Klingt auch utopisch, doch vielleicht sind diese Überlegungen einen Gedanken wert. Widerlich schmecken Heuschrecken jedenfalls nicht und der Spruch mit dem «lieber verhungern, als...», liegt uns Saturierten manchmal allzu locker auf der Zunge. Oh Schreck lass nach!

Franziska Ledergerber, Hausfrau und ausgebildete Lehrerin, Hergiswil, äussert sich abwechselnd mit anderen Autoren zu einem selbst gewählten Thema.

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