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Nidwalden

Sie propagierte vor 20 Jahren Homeoffice und Multi-Kulti: das ist heute eingetroffen – auch dank Corona

Sekundarlehrerin Marianne von Allmen machte sich vor 20 Jahren Gedanken über Oberdorf im Jahr 2020. Nicht zuletzt wegen Corona ist einiges eingetroffen.
Marianne von Allmen (rechts) und Gemeindepräsidentin Judith Odermatt beim Gasthaus Schlüssel in Büren. (Bild: Manuela Jans-Koch (Oberdorf, 15.Mai 2020))
Marianne von Allmen (links) und Judith Odermatt beim Gasthaus Schlüssel in Büren. (Bild: Manuela Jans-Koch (Oberdorf, 15.Mai 2020))

Marion Wannemacher

Marion Wannemacher

Judith Odermatt, Gemeindepräsidentin von Oberdorf ist ganz aus dem Häuschen «Das ist der Hammer, eine tolle Geschichte. Sehr vieles trifft zu», begeistert sich die 57-Jährige. Im Milleniumsjahr 2000 hatte Marianne von Allmen auf Anfrage für die «Aa-Post» in einem Artikel einen visionären Blick ins Oberdorf des Jahres 2020 getan. Damals arbeitete die langjährige Co-Leiterin des Luzerner Kleintheaters als Sekundarlehrerin in Oberdorf.

Gerade hat die Gemeindepräsidentin den längst vergessenen Artikel gelesen und zeigt sich verblüfft über manche Entwicklungen, die sich aus heutiger Sicht fast wie eine Prophezeiung ausnehmen. Seit 2012 engagiert sich Judith Odermatt im Oberdorfer Gemeinderat, seit 2014 bestimmt sie die Geschicke der Gemeinde mit und kennt deren Entwicklung gut. Zu Marianne von Allmen hat sie eine persönliche Verbindung: Diese unterrichtete ihre ältere Tochter Saara, die mittlerweile 30 Jahre alt ist, in Englisch und Zeichnen.

Homeoffice von heute hat sie damals vorausgesehen

Judith Odermatt nennt das Beispiel Arbeitswelt. «Vernetzte Computerfreaks gehen ihrem Broterwerb in den eigenen vier Wänden nach», heisst es im Artikel von damals. «Da sind wir eigentlich angekommen, wenn wir an die Homeoffice-Erfahrungen vieler wegen des Coronavirus denken», findet Marianne von Allmen selber. Eigentlich habe sie staunen müssen, «was für zukunftsweisende Ideen in dem Artikel standen». Als Fan des Autors Michael Ende habe sie mal einen Workshop von ihm an der Universität in Zürich besucht, bei dem es um Utopien ging. «Man muss gross denken, vielleicht bleibt ein bisschen was» ist ihr als Fazit geblieben.

Aufgewachsen ist Marianne von Allmen in Berlin, 30 Jahre hat sie in Büren gelebt. In Nidwalden kennt man sie wohl immer noch, obwohl sie heute in Luzern im Maihof-Quartier wohnt. «Büren ist meine Hauptheimat», stellt die heute 74-Jährige fest. Noch heute verbinden sie Freundschaften mit Nidwalden. So stammt eins ihrer fünf Patenkinder aus Büren. Obwohl sie sicher in 20 Jahren als Co-Leiterin des Luzerner Kleintheaters mehr Beachtung erfuhr, sagt sie über den Beruf der Lehrerin, den sie sieben Jahre in Malters und von 1997 bis 2005 in Oberdorf ausübte: «Es ist nach wie vor der wichtigste Beruf. Vermittlung von Werten kann man nirgends so gut wie in Kindergarten und Schule versuchen.»

Die Schulen in Büren und Oberdorf und das Benediktinerinnenkloster in Niederrickenbach stellte sie sich damals vor 20 Jahren als Begegnungszentren vor. Wie sieht das Judith Odermatt? «Sicher haben wir in Büren den Gemeindesaal der Kirche als neutrales Begegnungszentrum für Vereine, die Kirche selber und den Jugendsaal für den Jugendtreff. Als Begegnungszentrum dient auch die Aula der Schule in Oberdorf», kommentiert sie.

Im Gegensatz zu den «Gedanken zum Jahr 2020» sei leider Alkohol noch immer ein Thema. Einzig das Thema Rauchen habe klar an Bedeutung verloren, konstatiert sie.

Hilfe untereinander mit Zeit, Geld, Naturalien

Man helfe sich gegenseitig aus, mit Zeit, Wissen, Naturalien und Geld, hatte Marianne von Allmen damals vorausgesagt. «Das hat die Coronakrise gebracht» kommentiert sie heute. Der Gemeindepräsidentin fällt dazu das Stichwort Nachbarschaftshilfe ein. Diese werde in den drei Ortsteilen von Oberdorf aktiv gefördert, auch bereits ein Jahr vor dem Auftreten des Coronavirus, erzählt Judith Odermatt. «Allein durch Nachbarschaftshilfe wurde erreicht, dass jemand lange nicht ins Seniorenheim musste», nennt die Gemeindepräsidentin ein konkretes Beispiel.

«Das wollen wir noch mehr fördern auch für Familien, alleinerziehende Mütter oder psychisch Kranke», sagt sie. Der Sozialvorsteher bedanke sich mit Gutscheinen für länger andauernde Nachbarschaftshilfe, berichtet sie. Bei Rundtelefonen nach dem Lockdown habe sie erlebt, dass sich die Gemeindebewohner zum grössten Teil organisiert hatten, die Unterstützung also einfach so funktioniere, durch Vernetzung.

Auch die im Artikel von Marianne von Allmen propagierte Multi-Kulti-Gesellschaft gebe es in Oberdorf, schon allein durch den Arbeitgeber Pilatus-Werke, findet Judith Odermatt. «Bei uns leben Engländer, Südafrikaner, Italiener, Spanier, Deutsche, Portugiesen, Dominikaner und Vietnamesen», weiss sie zu berichten. «Integration findet statt, von beiden Seiten ist Akzeptanz da», lobt sie.

«Es hat lange gedauert, bis wir die Gleichung ‹time is money›, nämlich Zeit ist Geld, begriffen haben», philosophierte Marianne von Allmen vor 20 Jahren. Das Thema habe sie ihr Leben lang begleitet, weiss sie heute. Als sie 60 wurde, verliess sie ihr Büren und zügelte in das Tessiner Dörfchen Indemini. «Was will ich noch vom Leben?», habe sie sich damals gefragt. Materiell nichts, dafür Zeit und Stille, lautete ihre persönliche Antwort. Ein Projekt habe es nicht gegeben. «Dann hätte ich ja auch keine Zeit mehr gehabt.» Jetzt durch Corona sei sie wieder an diesen Punkt geraten. Langeweile kennt sie nicht.

Hoffnung auf eine positive Wendung der Coronakrise

Die Beklemmung durch die Pandemie spüre sie in ständiger Präsenz, berichtet Marianne von Allmen. «Ich bin froh, dass ich 75 werde und dass es auf mein Leben nicht mehr so ankommt.» Depressiv ist sie deshalb sicher nicht. Sie engagiert sich im Luzerner Verein Hello Welcome und begleitet Ausländer im Lernatelier beim Selbststudium der deutschen Sprache. Die Beschäftigung mit ihrer Prophezeiung habe sie bestätigt, bekräftigt sie. «Ich hoffe, dass die Erfahrung Coronakrise eine gute Wendung nehmen wird», sagt sie. «Dass man umdenkt und materiell mit weniger weiter kommt.» Wie hat es Michael Ende formuliert? «Um etwas Grosses zu verändern, müssen wir gross denken und wünschen. Nur so nähern wir uns der Utopie.»

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