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Zug

Als Goldschmiede und Frisöre Zähne zogen

Serie: Wer im 17. Jahrhundert im Kanton Zug einen faulen Zahn behandeln lassen wollte, war auf den rüden Eingriff eines fahrenden Zahnbrechers angewiesen. Erst im frühen 20. Jahrhundert wurde erstmals der Titel des Dr. med. dent. verliehen.
Wenn man sich im 17. Jahrhundert – wie hier der chinesische Kaiser durch den Zuger Johann Jakob Bossart – einen Zahn ziehen lassen musste, war das zuweilen recht schmerzhaft. Illustration: Lea Siegwart

Cornelia Bisch

«Hans Heinrich Müller hat mir ein Zand usdan», berichtet Ammann Jacob Andermann aus Baar in einem Tagebucheintrag von 1641. Es sei hart zugegangen, und er habe grosse Schmerzen ausgestanden, sei aber sehr tapfer gewesen, erzählt er weiter. «Got sigs danket, das er zletz usen gangen ist.» Diese Notiz ist wohl einer der frühesten Belege für zahnärztliche Tätigkeiten auf dem Gebiet des Kantons Zug. Welcher Berufsgattung der Folterknecht angehörte, geht nicht daraus hervor, ebenso wenig wie der genaue Behandlungsort. Spätere Anzeigen in der «neuen Zuger Zeitung» nennen jedoch das Gasthaus Ochsen als temporären Praxisort eines fahrenden Zahnbrechers. Bis ins 19. Jahrhundert betätigten diese sich in der ganzen Schweiz gleichzeitig als Chirurgen, Wundärzte, Bruchschneider (operative Behandlung von Eingeweide­brüchen), Scherer, Barbiere und Steinschneider. Viele von den ortsansässigen Zahnbrechern entstammten Familien bekannter Zuger Goldschmiede.

Zuger am kaiserlichen Hof von China

Der Chirurg Johann Jakob Bossart aus Zug, gelangte zu hohen Ehren, als er im Jahr 1699 dem chinesischen Kaiser Kanghi in Peking einen schmerzenden Zahn entfernte, was keinem der lokalen Ärzte zuvor gelungen war. Bossart war als Söldner einer holländisch-indischen Kompanie in chinesische Gefangenschaft geraten. Der Wunderheiler aus der Schweiz wurde reich belohnt und schrieb seine Erlebnisse nieder, nachdem er in seine Heimat zurückgekehrt war. Dem Aufsatz des Zuger Arztes, Naturwissenschafters und Geschichtsschreibers Dr. F. Stadlin von 1817 über das «Verderbniss der Zähne» ist zu entnehmen, dass er die Ursache der häufig auftretenden Fälle von Karies der «animalischen Ernährungsweise» der Zuger sowie der «Änderung des Sauerstoffgehaltes in der Atmosphäre wegen der Höhenlage des Kantons» zuschrieb. Postwendend boten ihm Berufskollegen Paroli mit der Replik, nicht die Karies sei endemisch, sondern die Wasserscheu der Zuger Einwohner, «die meistens Jahre, oft lebenslang, keinen Mund reinigen und keine Zähne säubern.» Aus Alt Fry Baar empfahl sich 1859 Josef Martin Utinger «fürs Rasieren, Haarschneiden, Aderlassen, Schröpfen, Zahnausziehen sowie Verfertigen aller Arten Haararbeiten». Daneben kursierten allerlei Mittelchen, Extrakte und Elixiere, die versprachen, Zahnschmerzen jedweder Art «augenblicklich und auf die Dauer zu beseitigen».

Trotz Bundesverfassung auch ohne Diplom

Erst nach 1886 passte der Kanton Zug seine Medizinalgesetzgebung der revidierten Bundesverfassung an und verlangte grundsätzlich das eidgenössische Diplom für eine Praxisbewilligung. Für Zahnärzte wurde jedoch trotzdem vorderhand das kantonale Patent als genügend erachtet. Erst das kantonale Gesetz über das Gesundheitswesen vom November 1926 schuf die völlige Anpassung an das betreffende Bundesgesetz. Deshalb gelang es Adolf Iten senior, Coiffeur in Unterägeri, 1924 gerade noch, die Bewilligung zur Ausübung der niederen Chirurgie zu ergattern. Dies war die allerletzte Patentierung eines Nichtakademikers im Kanton Zug, des letzten Baders, bei dem Schröpfen und «Stillhalten der Köpfe beim Zahnziehen» noch Bestandteil der Ausbildung eines Coiffeurlehrlings waren. Als erste Universität Europas verlieh die Zürcher Hochschule ab 1914 den Titel des Dr. med. dent.

Die Serie «Zuger Gewerbe-Geschichte(n)» setzt sich mit Themen aus der wirtschaftlichen Vergangenheit auseinander. Quelle: Seltene Berufe und Menschen im Zugerland, Hermann Steiner, 1984

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